TOP - Thema - “Dauerbrenner”:
Problematik der Scheinselbstständigkeit im deutschen Sozialversicherungs- und Steuerrecht
1. Grundbegriffe und Abgrenzung – Was ist Scheinselbstständigkeit wirklich?
2. Historische Entwicklung und gesetzgeberische Reaktionen
3. Rechtliche Grundlagen im Sozialversicherungs- und Steuerrecht
4. Abgrenzungskriterien in der Praxis – Die große Grauzone
5. Statusfeststellungsverfahren – Das wichtigste Instrument zur Absicherung
6. Praxisbeispiele – Branchen, Berufsgruppen und typische Risiken
7. Sozialversicherungsrechtliche Folgen – Beitragspflicht, Nachzahlung, Haftung
8. Steuerliche Folgen – Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Betriebsausgaben
9. Strafrechtliche Risiken und Bußgeldvorschriften bei Scheinselbstständigkeit
10. Strategien für Unternehmen – So gelingt die rechtssichere Gestaltung
12. Rechtssicher und flexibel – Gestaltungsoptionen in der Praxis
13. Bedeutung für Soloselbstständige und freie Berufe
14. Compliance, Schulung und Dokumentation
15. Checklisten und Prüfsysteme – Prävention in der Praxis
16. Auswirkungen auf die Unternehmensreputation und das Personalmarketing
17. Ausblick – Gesetzesänderungen, BMF-Schreiben, politische Debatten
1. Grundbegriffe und Abgrenzung – Was ist Scheinselbstständigkeit wirklich?
Scheinselbstständigkeit ist eines der rechtlich sensibelsten Themen im deutschen Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Sie betrifft besonders Branchen mit projektbezogener Zusammenarbeit, etwa IT, Medien, Gesundheitswesen oder Consulting. Der Begriff beschreibt Fälle, in denen eine Person zwar formal als Selbstständige:r tätig ist, aber tatsächlich wie ein:e Arbeitnehmer:in in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingebunden ist. Das hat weitreichende Folgen – sowohl für die betroffene Person als auch für das beauftragende Unternehmen.
Keine gesetzliche Definition – aber klare Kriterien
Der Begriff „Scheinselbstständigkeit“ ist gesetzlich nicht exakt definiert. Dennoch gibt es klare rechtliche Maßstäbe: Nach § 7 Abs. 1 SGB IV liegt eine Beschäftigung vor, wenn sie durch „nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ gekennzeichnet ist. Entscheidend sind dabei vor allem:
Weisungsgebundenheit: Die Person folgt Vorgaben zu Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit.
Eingliederung: Die Tätigkeit ist organisatorisch in den Betrieb eingebettet.
Fehlendes unternehmerisches Risiko: Die Vergütung erfolgt unabhängig vom Erfolg, es bestehen keine eigenen Betriebsmittel.
All diese Merkmale sprechen eher für eine abhängige Beschäftigung – auch dann, wenn der Vertrag das Gegenteil behauptet.
Steuerrechtliche Einordnung: Arbeitslohn statt Honorar
Auch im Steuerrecht hat Scheinselbstständigkeit erhebliche Konsequenzen. Nach § 19 EStG gelten Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit als Arbeitslohn – mit der Folge, dass der Auftraggeber rückwirkend zur Abführung von Lohnsteuer verpflichtet wird. Die Finanzverwaltung kann zusätzlich Säumniszuschläge, Zinsen und sogar Strafzahlungen fordern, wenn eine unzulässige Vertragsgestaltung festgestellt wird.
Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit – eine Grauzone
Ein besonderes Risiko liegt im Bereich der sogenannten arbeitnehmerähnlichen Selbstständigkeit. Diese Konstellation betrifft z. B. Soloselbstständige, die regelmäßig für nur einen Auftraggeber arbeiten, kein unternehmerisches Risiko tragen und keine eigenen Mitarbeitenden beschäftigen. Auch wenn formal keine abhängige Beschäftigung vorliegt, können hier sozialversicherungsrechtliche Pflichten bestehen – etwa eine Rentenversicherungspflicht nach § 2 SGB VI.
Rechtsprechung: Entscheidend ist die gelebte Praxis
Die Gerichte – insbesondere das Bundessozialgericht (BSG) – stellen bei der Abgrenzung konsequent auf die tatsächliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ab. Entscheidend ist also nicht die Bezeichnung im Vertrag, sondern wie die Zusammenarbeit im Alltag gelebt wird. Dabei gelten folgende Leitsätze:
Vertragliche Formulierungen haben nur begrenzten Beweiswert.
Einzelne Indizien (z. B. Arbeitszeiten, Meldepflichten, Nutzung betrieblicher Infrastruktur) reichen bei Häufung aus, um auf Scheinselbstständigkeit zu schließen.
Auch hochqualifizierte Fachkräfte (z. B. IT-Berater:innen) sind nicht automatisch als Selbstständige anzusehen, wenn sie vollständig in betriebliche Abläufe eingebunden sind (BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 12 R 4/20 R).
Typische Konstellationen in der Praxis
Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Problematik:
Ein freier Texter arbeitet über Jahre hinweg ausschließlich für einen Verlag, hat feste Abgabetermine, nutzt das Redaktionssystem und erhält regelmäßig redaktionelles Feedback. Trotz vertraglicher „freier Mitarbeit“ könnte hier eine abhängige Beschäftigung vorliegen.
Eine Honorarärztin arbeitet im Dienstplan eines Krankenhauses mit, übernimmt Schichten und nutzt die Ausstattung der Klinik. Hier wurde vom BSG in mehreren Urteilen (z. B. B 12 R 11/18 R) die Scheinselbstständigkeit bejaht.
Abgrenzung ist rechtlich und wirtschaftlich entscheidend
Die folgenreiche Unterscheidung zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung entscheidet über:
die Sozialversicherungspflicht (Krankenkasse, Rentenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung),
die steuerliche Behandlung (Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Lohnsteuer),
die Haftung des Auftraggebers – insbesondere bei Rückforderungen und Betriebsprüfungen,
die strafrechtliche Relevanz (§ 266a StGB – Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen).
Ein einzelner Fehler kann zu fünf- bis sechsstelligen Rückforderungen führen – besonders kritisch für kleine und mittlere Unternehmen.
Ziel: Rechtssicherheit durch Klarheit und Prävention
Wer auf freie Mitarbeit setzt, sollte von Beginn an auf saubere Strukturen achten: klare Verträge, regelmäßige Prüfungen, und im Zweifel ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV. Dies bietet Schutz für beide Seiten – und stärkt die unternehmerische Glaubwürdigkeit.
2. Historische Entwicklung und gesetzgeberische Reaktionen
Die Debatte um Scheinselbstständigkeit ist kein neues Phänomen. Sie ist vielmehr das Ergebnis eines langjährigen Spannungsfeldes zwischen wirtschaftlicher Flexibilität und sozialer Absicherung. Besonders seit den 1990er-Jahren wurde das Thema in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung immer wieder neu bewertet. Wer die Entwicklung nachvollzieht, erkennt: Die heutigen Regelungen sind Ausdruck zahlreicher Anpassungsversuche – auf einen sich wandelnden Arbeitsmarkt.
Anfänge der Regulierung in den 1990er-Jahren
In den frühen 1990er-Jahren gewann das Thema Scheinselbstständigkeit erstmals politische Bedeutung – vor allem durch das massive Anwachsen von Projektarbeit, Outsourcing und Solo-Selbstständigkeit. In der Folge erließ der Gesetzgeber 1999 im Rahmen des sogenannten „Beschäftigungsförderungsgesetzes“ eine erste gesetzlich verankerte Definition von Scheinselbstständigkeit. Damit verbunden war das Ziel, missbräuchliche Vertragskonstruktionen zu unterbinden und die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme zu sichern (Lörcher 2023).
Erste gesetzliche Kriterien und große Unsicherheit
Kernstück der damaligen Reform war eine Negativliste, mit der typische Merkmale einer abhängigen Beschäftigung benannt wurden – z. B.:
Nur ein Auftraggeber über längere Zeit,
Kein eigenes unternehmerisches Risiko,
Keine eigenen Mitarbeiter:innen,
Tätigkeit vor Ort im Betrieb des Auftraggebers.
Diese Kriterien waren rechtlich umstritten und wurden nach wenigen Jahren wieder abgeschwächt. Dennoch markierten sie den Beginn einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Agenda 2010 und neue Versichertengruppen
Im Jahr 2003 wurde im Rahmen der Agenda 2010 eine Pflichtversicherung für bestimmte Selbstständige eingeführt – etwa für Lehrkräfte, Pflegekräfte oder Hebammen, sofern sie keine eigenen Angestellten beschäftigten. Grundlage hierfür ist bis heute § 2 SGB VI, der bestimmte Berufsgruppen automatisch der gesetzlichen Rentenversicherung unterstellt. Damit wurde erstmals ein Zwischentyp zwischen abhängiger Beschäftigung und unternehmerischer Selbstständigkeit gesetzlich verankert.
Modernisierung des Statusfeststellungsverfahrens
Einen weiteren Reformschritt stellte die Überarbeitung des Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV dar. Die Reform von 2009 führte zu einer Strukturierung des Verfahrens, einer zentralen Clearingstelle bei der Deutschen Rentenversicherung und mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Auftraggeber:innen und Auftragnehmer:innen. Seither kann der sozialversicherungsrechtliche Status vorab verbindlich geprüft werden, was die Rechtssicherheit erhöht – sofern das Verfahren korrekt und vollständig durchgeführt wird.
Erneuter Aufschwung durch Plattformökonomie
Mit dem Siegeszug der digitalen Plattformen (z. B. Lieferdienste, Online-Marktplätze, Kreativportale) hat die Frage nach dem Beschäftigungsstatus eine neue Brisanz erlangt. Plattformarbeiter:innen sind formal oft selbstständig – de facto aber vielfach in Systemen mit hoher Fremdbestimmung und wirtschaftlicher Abhängigkeit eingebunden. Dieses Spannungsfeld hat zu neuen politischen Forderungen nach Schutzstandards und Prüfpflichten geführt – auf nationaler wie europäischer Ebene.
Koalitionsvertrag 2021 und laufende Gesetzesvorhaben
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung (2021–2025) ist die Modernisierung des Statusrechts ausdrücklich vorgesehen. Angestrebt werden:
Beschleunigte Verfahren,
Digitalisierung der Antragsprozesse,
Bessere Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen,
Klare Definitionen von selbstständiger und abhängiger Tätigkeit.
Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird seit 2023 im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorbereitet. Verbände, Sozialversicherungsträger und Wirtschaftskammern sind an den Beratungen beteiligt.
Europarechtliche Vorgaben: Plattformrichtlinie in Vorbereitung
Auf EU-Ebene arbeitet die Kommission an einer Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit. Ein zentraler Vorschlag ist die Vermutung eines Arbeitsverhältnisses, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind – etwa algorithmische Steuerung, Bewertungssysteme, fehlende Preisverhandlung oder Exklusivität. Sollte diese Richtlinie in Kraft treten, muss Deutschland seine nationalen Regelungen anpassen – mit direkten Auswirkungen auf viele grenzwertige Selbstständigkeitsmodelle.
Reaktionen aus Wissenschaft und Berufsverbänden
Die Fachliteratur diskutiert seit Jahren, wie ein praktikabler und rechtssicherer Selbstständigkeitsbegriff aussehen kann. Jurist:innen wie Kreft (2024) oder Lörcher (2023) sprechen sich für eine differenziertere Betrachtung aus – insbesondere für die Anerkennung von Mischformen (z. B. projektbasiertes Arbeiten mit begrenzter Eingliederung). Gleichzeitig warnen viele Stimmen vor einer Aushöhlung des Sozialversicherungsschutzes, wenn wirtschaftlich abhängige Tätigkeiten als formal selbstständig gelten.
Dauerbrenner mit Reformbedarf
Die bisherige Entwicklung zeigt: Die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung bleibt ein politischer Dauerbrenner. Mit jeder neuen Arbeitsform entstehen neue Grauzonen, die durch veraltete Kriterien nur schwer zu greifen sind. Unternehmen sind gut beraten, gesetzliche Reformen frühzeitig zu beobachten und ihre internen Prozesse rechtzeitig anzupassen – etwa durch Schulungen, Vertragsprüfungen oder eine engere Zusammenarbeit mit Steuer- und Rechtsberatung.
Weichenstellung für die Zukunft
Wer heute rechtssicher arbeiten will, muss nicht nur die aktuelle Rechtslage verstehen – sondern auch wissen, wohin sich der Markt und die Gesetzgebung entwickeln. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein für die Frage, ob die Sozialversicherungsordnung mit der modernen Arbeitswelt Schritt halten kann. Für Unternehmen, die auf freie Mitarbeit setzen, bedeutet das: Strategisch denken, strukturiert handeln und frühzeitig vorsorgen.
3. Rechtliche Grundlagen im Sozialversicherungs- und Steuerrecht
Die rechtliche Einordnung von Scheinselbstständigkeit basiert auf zwei zentralen Säulen: dem Sozialversicherungsrecht und dem Steuerrecht. Beide Rechtsgebiete definieren unabhängig voneinander, ob eine Tätigkeit als selbstständig oder abhängig einzustufen ist – und beide können im Fall einer Fehleinschätzung zu erheblichen Konsequenzen führen. Wer sich rechtssicher aufstellen will, muss deshalb beide Perspektiven verstehen – und in der Praxis miteinander verknüpfen.
Sozialversicherungsrecht: § 7 Abs. 1 SGB IV als Kernvorschrift
Im Sozialversicherungsrecht ist § 7 Abs. 1 SGB IV die maßgebliche Norm zur Unterscheidung von selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit. Demnach liegt eine Beschäftigung vor, wenn sie durch nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, gekennzeichnet ist. Die Abgrenzung erfolgt auf Basis folgender Merkmale:
Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit, Inhalt und Art der Tätigkeit,
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers,
Fehlen eines eigenen unternehmerischen Risikos,
keine eigene Betriebsstätte oder Beschäftigte,
regelmäßige, planbare Einsätze nach Abstimmung mit dem Auftraggeber.
Entscheidend ist stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, wie sie auch von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) betont wird (BSG, B 12 R 7/15 R).
Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV
Ein wichtiges Instrument zur Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status ist das Statusfeststellungsverfahrennach § 7a SGB IV. Dieses kann vom Unternehmen oder der eingesetzten Person – idealerweise gemeinsam – bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund beantragt werden. Es prüft auf Grundlage der tatsächlichen Verhältnisse, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt.
Besonders in unklaren Fällen bietet das Verfahren Rechtssicherheit und Schutz vor rückwirkenden Nachzahlungen, sofern es rechtzeitig und wahrheitsgemäß durchgeführt wird. Eine positive Feststellung befreit nicht von der Rentenversicherungspflicht, aber sie schützt vor schwerwiegenden Vorwürfen wie vorsätzlicher Beitragshinterziehung (§ 266a StGB).
Besondere Versicherungspflichten: § 2 SGB VI
Einige Berufsgruppen gelten kraft Gesetzes als versicherungspflichtig – auch ohne dass eine Scheinselbstständigkeit festgestellt wird. Nach § 2 SGB VI sind unter anderem folgende Personen rentenversicherungspflichtig, wenn sie keine sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitenden beschäftigen:
Lehrer:innen, Trainer:innen, Coaches,
Pflegekräfte, Hebammen,
Künstler:innen und Publizist:innen.
Diese sogenannte „arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit“ ist rechtlich nicht gleichzusetzen mit Scheinselbstständigkeit – stellt aber ein eigenes Risiko dar, insbesondere bei unterlassener Meldung.
Steuerrechtliche Bewertung: § 19 EStG und § 42d EStG
Im Steuerrecht richtet sich die Beurteilung vor allem nach § 19 EStG (nichtselbstständige Arbeit) und § 18 EStG(selbstständige Arbeit). Wird festgestellt, dass eine als freiberuflich oder gewerblich gemeldete Tätigkeit in Wirklichkeit eine abhängige Beschäftigung ist, wird das gezahlte Honorar rückwirkend als Arbeitslohn umqualifiziert.
Die Folge: Der Auftraggeber haftet nach § 42d EStG für die gesamte Lohnsteuer, inklusive Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer. Die Nachzahlungspflicht betrifft bis zu vier Jahre rückwirkend – bei Vorsatz sogar zehn Jahre – und umfasst auch mögliche Säumniszuschläge (§ 240 AO) sowie Zinsen (§ 233a AO).
Umsatzsteuerliche Risiken: unberechtigter Steuerausweis
Ein weiteres Problem ergibt sich bei der Umsatzsteuer: Scheinselbstständige stellen oft Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer, die vom Auftraggeber als Vorsteuer geltend gemacht wird. Wird das Vertragsverhältnis jedoch rückwirkend als Arbeitsverhältnis eingestuft, handelt es sich nicht um eine unternehmerische Leistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes.
Die Folge: Die Vorsteuer ist zu Unrecht gezogen worden und muss mit Zinsen an das Finanzamt zurückgezahlt werden. Der oder die Auftragnehmer:in haftet möglicherweise zusätzlich nach § 14c UStG, wenn Umsatzsteuer zu Unrecht ausgewiesen wurde.
Haftungsrisiken und Prüfmechanismen
Die Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung (§ 28p SGB IV) sowie Lohnsteuer-Außenprüfungen durch die Finanzverwaltung (§ 42f EStG) sind zentrale Mechanismen zur Aufdeckung von Scheinselbstständigkeit. Beide Behörden haben unterschiedliche Prüfziele – aber überschneidende Wirkungen.
Ergebnis einer solchen Prüfung können sein:
Nachzahlung von Sozialabgaben (inkl. Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil),
Rückforderung der Lohnsteuer und Versagung des Betriebsausgabenabzugs,
Rückabwicklung von Umsatzsteuererstattungen,
strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei Verdacht auf Vorsatz.
BMF-Schreiben und Verwaltungsanweisungen
Wichtige Leitlinien für Betriebsprüfungen liefert das BMF-Schreiben vom 12. November 2021 (Az. IV C 5 - S 2332/19/10012:004), das zahlreiche Kriterien zur Abgrenzung zwischen selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit enthält. Die dort enthaltenen Prüffragen zur Weisungsgebundenheit, Eingliederung und wirtschaftlichen Unabhängigkeit werden regelmäßig bei Außenprüfungen angewendet.
Vertragliche Gestaltung schützt nicht vor Konsequenzen
Immer wieder wird versucht, Scheinselbstständigkeit durch geschickte Vertragsformulierung zu vermeiden. Doch die Gerichte urteilen regelmäßig: Nicht der Vertrag, sondern die gelebte Praxis ist entscheidend. Auch sauber formulierte „Freie-Mitarbeit-Verträge“ helfen nicht weiter, wenn die tatsächliche Zusammenarbeit der eines Angestelltenverhältnisses gleicht.
Fazit in anderer Form: Überblick statt Schlusswort
Die rechtlichen Grundlagen zur Scheinselbstständigkeit sind vielschichtig – und betreffen mehrere Normen aus verschiedenen Rechtsgebieten. Unternehmen, die sich ausschließlich auf einen Aspekt konzentrieren, übersehen oft andere Risiken. Nur durch interdisziplinäres Denken, fachkundige Beratung und klare Strukturen lassen sich diese Risiken minimieren. In den folgenden Kapiteln zeige ich auf, wie sich diese Anforderungen in der Praxis konkret umsetzen lassen – mit vielen Beispielen, Strategien und Handlungsempfehlungen.
4. Abgrenzungskriterien in der Praxis – Die große Grauzone
Die größte Unsicherheit im Umgang mit Scheinselbstständigkeit liegt in der praktischen Abgrenzung. Während viele Unternehmen und Selbstständige auf „klare Verträge“ setzen, ist es in Wahrheit die gelebte Realität, die über die rechtliche Einstufung entscheidet. Die entscheidende Frage lautet: Wird tatsächlich selbstständig gearbeitet – oder handelt es sich um ein verkapptes Arbeitsverhältnis? Die Antwort ist oft alles andere als eindeutig.
Vertragstext allein reicht nicht aus
Ein häufiger Irrtum in der Praxis ist der Glaube, ein sauber formulierter „Freelancer-Vertrag“ schütze vor der Feststellung einer Scheinselbstständigkeit. Die Rechtsprechung – insbesondere die des Bundessozialgerichts – stellt jedoch klar: Maßgeblich ist die tatsächliche Durchführung der Zusammenarbeit. Verträge sind nur ein Indiz – entscheidend ist, ob die tägliche Arbeit unternehmerische Selbstständigkeit erkennen lässt oder eher einer typischen Arbeitnehmer:innenrolle entspricht (BSG, B 12 R 7/15 R).
Die wichtigsten Abgrenzungsmerkmale im Überblick
Folgende Kriterien spielen eine zentrale Rolle bei der Bewertung des Beschäftigungsstatus:
Weisungsgebundenheit: Gibt es Vorgaben zur Arbeitszeit, zum Arbeitsort, zur Ausführung der Tätigkeit? Je mehr direkte Anweisungen, desto eher liegt eine abhängige Beschäftigung vor.
Eingliederung: Ist die Person Teil des Betriebs? Nimmt sie an Teammeetings teil, nutzt interne Systeme, trägt zur Ablauforganisation bei?
Unternehmerisches Risiko: Trägt die Person ein echtes wirtschaftliches Risiko, z. B. durch Vorleistungen, eigene Investitionen oder Ergebnisverantwortung?
Eigene Betriebsmittel: Wird mit eigenem Laptop, eigener Software und eigener Infrastruktur gearbeitet – oder mit den Ressourcen des Auftraggebers?
Kund:innenstruktur: Arbeitet die Person ausschließlich oder überwiegend für einen einzigen Auftraggeber? Besteht wirtschaftliche Abhängigkeit?
Vertretungsregelung: Kann die Tätigkeit durch andere Personen übernommen werden – oder ist die persönliche Leistungserbringung zwingend?
Diese Kriterien werden nicht additiv, sondern in der Gesamtschau bewertet – wobei einige Merkmale stärker gewichtet werden als andere.
Die Grauzone ist größer als erwartet
In der Praxis sind viele Beschäftigungsverhältnisse weder eindeutig selbstständig noch klar abhängig. Typisch sind z. B.:
Freelancer:innen, die dauerhaft in Projektteams sitzen,
IT-Dienstleister:innen, die mit interner Firmen-E-Mail und Hardware arbeiten,
Trainer:innen, die regelmäßig dieselben Kurse für denselben Anbieter geben,
Pflegekräfte oder Honorarärzt:innen, die nach Dienstplan eingesetzt werden.
Solche Fälle liegen in der Grauzone – und können bei Betriebsprüfungen unterschiedlich beurteilt werden, abhängig von Dokumentation, Verhalten und Gesamtbild.
Branchenspezifische Unterschiede
Auch die Branche spielt eine Rolle: In der Kreativwirtschaft oder im Journalismus ist projektbezogenes Arbeiten üblich – oft mit größerem Gestaltungsspielraum. Im Gesundheitswesen oder in der Pflege dagegen gelten meist feste Abläufe und Dienstpläne, die eine Eingliederung nahelegen. Unternehmen sollten daher nicht nur den allgemeinen Kriterienkatalog kennen, sondern auch die besonderen Standards ihrer Branche beachten.
Indizienkatalog der Deutschen Rentenversicherung
Zur Orientierung bietet die Deutsche Rentenversicherung einen nicht abschließenden Indizienkatalog, der folgende Merkmale aufführt:
Nur ein Auftraggeber über längere Zeit,
Keine eigenen Mitarbeiter:innen,
Nutzung betrieblicher Arbeitsmittel,
Feste Arbeitszeiten und -orte,
Eingliederung in Projekt- oder Betriebsabläufe,
Keine eigene Außendarstellung (Website, Werbung),
Keine eigenständige Preisgestaltung.
Je mehr dieser Punkte erfüllt sind, desto höher ist das Risiko einer späteren Umqualifizierung.
Typische Fehlannahmen in der Praxis
Viele Auftraggeber:innen gehen davon aus, dass ein Vertrag mit Honorarregelung und Umsatzsteuer bereits für Selbstständigkeit spricht. Andere verlassen sich auf eine Gewerbeanmeldung oder eine Steuernummer. Doch all das ist nicht rechtlich entscheidend, wenn die gelebte Realität auf eine Einbindung in den Betrieb hinweist (Jahn 2022).
Ebenso kritisch ist es, wenn Freelancer:innen feste Arbeitszeiten haben, regelmäßig Bericht erstatten oder sich krankmelden müssen. Auch scheinbar „kleine“ Details – wie das Bereitstellen eines Arbeitsplatzes oder der Eintrag in den internen Kalender – können Indizien für eine abhängige Beschäftigung sein.
Die Gefahr der schleichenden Entwicklung
Nicht selten entwickelt sich aus einem kurzfristigen Projektauftrag über die Zeit ein faktisches Beschäftigungsverhältnis – ohne dass dies bewusst geplant war. Aus dem Einzelauftrag werden regelmäßige Einsätze, aus der Zusammenarbeit eine dauerhafte Einbindung. Wer solche Entwicklungen nicht erkennt oder dokumentiert, riskiert rückwirkende Nachzahlungen für mehrere Jahre – einschließlich Säumniszuschlägen und möglicher strafrechtlicher Ermittlungen.
Empfehlung: Regelmäßige Selbstprüfung und fachliche Begleitung
Um rechtssicher zu handeln, sollten Unternehmen:
alle freien Mitarbeitenden regelmäßig auf Eingliederungsmerkmale prüfen,
Verträge und Arbeitsweisen synchron halten,
Dokumentationen führen, die auch bei Betriebsprüfungen Bestand haben,
und bei Unsicherheiten ein Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV) einleiten.
Besonders hilfreich ist auch die Begleitung durch eine spezialisierte Steuerberatung, die nicht nur die arbeitsrechtliche, sondern auch die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Seite berücksichtigt.
Zusammengefasst: Rechtssicherheit entsteht durch Bewusstsein
Die Abgrenzung in der Praxis ist anspruchsvoll – aber machbar. Wer sich der Kriterien bewusst ist, typische Risiken erkennt und frühzeitig handelt, kann rechtliche Konflikte vermeiden. Der Schlüssel liegt in der transparenzfördernden Gestaltung, der Dokumentation und der regelmäßigen Überprüfung der Realität – nicht allein im Vertrauen auf Verträge.
5. Statusfeststellungsverfahren – Das wichtigste Instrument zur Absicherung
Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV ist das zentrale Instrument zur rechtssicheren Klärung des Beschäftigungsstatus. Es wird von der Deutschen Rentenversicherung Bund durchgeführt und bietet sowohl Auftraggeber:innen als auch Auftragnehmer:innen die Möglichkeit, präventiv zu überprüfen, ob eine Tätigkeit als selbstständig oder als sozialversicherungspflichtig einzustufen ist. Insbesondere in der Grauzone zwischen freier Mitarbeit und faktischer Eingliederung ist dieses Verfahren ein entscheidender Baustein zur Vermeidung von Nachzahlungen, Haftung und rechtlichen Auseinandersetzungen.
Was ist das Statusfeststellungsverfahren?
Das Verfahren wird auf Antrag durchgeführt – entweder von einer Vertragspartei oder gemeinsam. Es prüft nicht nur den schriftlichen Vertrag, sondern vor allem die gelebte Praxis: Wie wird tatsächlich gearbeitet? Gibt es Weisungen? Ist die Person in die Organisation eingebunden? Welche Betriebsmittel werden genutzt? Entscheidend ist die Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.
Zuständig ist die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund, die auf Basis von Fragebögen, Verträgen, E-Mails, Rechnungen und ggf. ergänzenden Stellungnahmen entscheidet, ob Sozialversicherungspflicht vorliegt.
Warum ist das Verfahren so wichtig?
Viele Unternehmen scheuen das Statusfeststellungsverfahren aus Angst vor einem „negativen Bescheid“. Dabei liegt genau hier der große Vorteil: Wer sich frühzeitig Klarheit verschafft, vermeidet jahrelange Unsicherheit, plötzliche Nachforderungen und mögliche strafrechtliche Risiken. Auch für Auftragnehmer:innen ist das Verfahren sinnvoll, z. B. um die eigene Rentenversicherungspflicht zu prüfen oder eine selbstständige Tätigkeit abzusichern (Böcking 2023).
Der richtige Zeitpunkt: Je früher, desto besser
Idealerweise wird der Antrag auf Statusfeststellung vor Aufnahme der Tätigkeit gestellt. Denn der sogenannte „Prognosezeitraum“ bezieht sich auf die geplante zukünftige Ausgestaltung – nicht auf bereits vergangene Projekte. Dennoch ist das Verfahren auch während laufender Verträge oder bei wiederholter Zusammenarbeit möglich. Wichtig ist, dass die tatsächlichen Umstände korrekt und vollständig offengelegt werden.
Ablauf des Verfahrens: strukturiert und dokumentiert
Das Statusfeststellungsverfahren besteht aus mehreren Schritten:
Antragstellung – schriftlich oder elektronisch, mit Einreichung des Vertrags und ggf. ergänzender Unterlagen.
Fragebogenversand – beide Seiten erhalten umfangreiche Fragen zur Tätigkeit, Organisation, Weisungsstruktur, Vergütung usw.
Prüfung und Bewertung durch die Clearingstelle – ggf. Rückfragen oder zusätzliche Dokumente.
Verwaltungsakt – das Ergebnis ist rechtlich verbindlich und kann nur mit Widerspruch oder Klage angefochten werden.
Was prüft die Clearingstelle konkret?
Die Deutsche Rentenversicherung fragt u. a.:
Wer bestimmt Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit?
Besteht wirtschaftliche Abhängigkeit?
Werden eigene Betriebsmittel eingesetzt?
Gibt es eine Vertretungsregelung?
Wie erfolgt die Vergütung (pauschal, erfolgsabhängig, laufend)?
Die Beantwortung dieser Fragen ist zentral – sie bestimmt, ob eine Sozialversicherungspflicht besteht.
Was bedeutet das Ergebnis in der Praxis?
Wird eine abhängige Beschäftigung festgestellt, müssen Arbeitgeber:innen ab dem festgestellten Beginn Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abführen. Je nach Dauer der Tätigkeit und Umfang der Nachzahlung kann dies zu erheblichen finanziellen Belastungen führen – insbesondere wenn das Verfahren verspätet oder gar nicht durchgeführt wurde.
Wird hingegen eine echte Selbstständigkeit bestätigt, schafft dies Rechtssicherheit für alle Beteiligten – und kann auch für Folgeprojekte als Orientierung dienen.
Vorteile des Verfahrens für Unternehmen
Rechtssicherheit vor Betriebsprüfungen,
Vermeidung von Säumniszuschlägen und Rückforderungen,
Beleg für ordnungsgemäße Personal- und Vertragsplanung,
Signalwirkung nach außen (z. B. gegenüber Investoren, Behörden, Partner:innen).
Unternehmen, die das Verfahren aktiv nutzen, zeigen, dass sie Verantwortung übernehmen – und nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen.
Warum es trotzdem oft nicht genutzt wird
In der Praxis bestehen Vorbehalte gegenüber dem Statusfeststellungsverfahren – etwa wegen des Aufwands, der befürchteten Feststellung einer Scheinselbstständigkeit oder des Misstrauens gegenüber Behörden. Diese Haltung ist nachvollziehbar, aber strategisch riskant: Wer auf das Verfahren verzichtet, nimmt eine Rechtsunsicherheit in Kauf, die im Ernstfall ruinös wirken kann – insbesondere bei langjährigen Vertragsverhältnissen mit unklarer Eingliederung.
Empfehlung: Verfahren als Compliance-Baustein verankern
Das Statusfeststellungsverfahren sollte Teil jeder unternehmerischen Compliance-Strategie sein – insbesondere bei:
Langfristigen Projektverträgen,
Alleinaufträgen über mehrere Monate,
Einsätzen mit klarer Integration in die Arbeitsorganisation,
Verträgen mit Honorarkräften, Pflegekräften, Dozent:innen oder IT-Freelancern.
Professionelle Beratung hilft dabei, den Antrag sorgfältig vorzubereiten – und damit das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Klarheit statt Risiko: Die strategische Perspektive
Ob Start-up, Agentur oder Konzern – wer regelmäßig mit freien Mitarbeitenden arbeitet, kommt am Statusfeststellungsverfahren nicht vorbei. Es ist nicht nur ein formaler Schritt, sondern ein zentraler Bestandteil moderner Personalstrategie. Wer hier sauber arbeitet, schützt nicht nur das eigene Unternehmen – sondern auch die Zusammenarbeit mit externen Fachkräften.
6. Praxisbeispiele – Branchen, Berufsgruppen und typische Risiken
Scheinselbstständigkeit ist kein Einzelfallphänomen. Sie betrifft viele Branchen, Berufe und Unternehmensgrößen – von Start-ups bis zu Konzernen. Die Fallkonstellationen ähneln sich, auch wenn die konkreten Tätigkeiten unterschiedlich sind. Wer typische Muster kennt, kann Risiken schneller erkennen und passende Maßnahmen ergreifen.
IT- und Digitalwirtschaft: Eingliederung durch Projektarbeit
Freiberufliche Softwareentwickler:innen, Webdesigner:innen oder IT-Berater:innen sind häufig in langfristige Projekte eingebunden – oft bei nur einem Auftraggeber. Wenn sie dabei interne Systeme nutzen, in Teams eingebunden sind, regelmäßige Stand-up-Meetings besuchen und feste Zeitpläne einhalten, wird aus dem Projektvertrag schnell ein faktisches Arbeitsverhältnis. Das Bundessozialgericht hat hierzu mehrfach entschieden, dass auch hochqualifizierte IT-Fachkräfte nicht automatisch als selbstständig gelten (BSG, B 12 R 4/20 R).
Baugewerbe: Subunternehmer:innen mit festen Strukturen
In der Baubranche arbeiten viele Unternehmen mit Subunternehmen – insbesondere zur Kostensenkung. Kritisch wird es, wenn diese Subunternehmer:innen über Jahre hinweg auf derselben Baustelle tätig sind, mit Werkzeugen und Materialien des Auftraggebers arbeiten und nach dessen Anweisungen handeln. In solchen Fällen erkennen die Sozialgerichte oft keine echte Selbstständigkeit, sondern eine verdeckte Arbeitnehmer:innenstellung.
Kreativbranche und Medien: Scheinselbstständigkeit trotz Projektarbeit
Texter:innen, Grafiker:innen, Redakteur:innen – sie alle gelten formal als typische Freie. Problematisch wird es, wenn sie über Jahre hinweg ausschließlich für einen Verlag oder eine Agentur tätig sind, dabei feste Abgabetermine haben, an Redaktionskonferenzen teilnehmen oder interne Kommunikationswege nutzen. Auch wenn Honorarverträge abgeschlossen wurden, kann die tatsächliche Einbindung zur Scheinselbstständigkeit führen.
Gesundheitswesen: Honorarärzt:innen und Pflegekräfte
Einer der Brennpunkte der aktuellen Rechtsprechung liegt im medizinischen Bereich. Honorarärzt:innen, die in Schichtpläne integriert werden, keine eigene Praxisstruktur aufweisen und im Alltag denselben Pflichten wie festangestellte Kolleg:innen unterliegen, gelten häufig als scheinselbstständig. Das gilt auch für selbstständige Pflegekräfte, die in stationären Einrichtungen tätig sind. In der Entscheidung B 12 R 11/18 R stellte das BSG klar: Wer nach Dienstplan arbeitet, ist regelmäßig nicht selbstständig.
Bildung und Weiterbildung: Dozent:innen mit Abhängigkeit
Auch Bildungseinrichtungen arbeiten regelmäßig mit Honorarkräften. Lehrende, die regelmäßig unterrichten, feste Kurszeiten einhalten und keine eigenen Räume oder Materialien verwenden, befinden sich oft in einem kritischen Bereich. Das Risiko steigt, wenn keine echte Vertretungsregelung besteht, nur ein Auftraggeber vorhanden ist oder wirtschaftliche Abhängigkeit vorliegt.
Logistik und Transport: Selbstständige Fahrer:innen im Fokus
In der Logistikbranche arbeiten viele Unternehmen mit freien Fahrer:innen. Wenn diese jedoch ausschließlich für einen Anbieter tätig sind, dessen Fahrzeuge nutzen, feste Routen fahren und sich nach Zeitplänen richten müssen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Scheinselbstständigkeit hoch. Besonders sensibel wird es, wenn Arbeitszeiten dokumentiert, Uniformen getragen oder unternehmenseigene Apps genutzt werden.
Plattformarbeit: Neue Risiken durch Digitalisierung
Plattformen wie Lieferdienste, Reinigungsportale oder Freelancer-Plattformen organisieren ihre Aufträge digital – oft mit Algorithmen. Wer regelmäßig über dieselbe Plattform arbeitet, Preisvorgaben akzeptiert, keine eigenständige Kund:innenakquise betreibt und keine unternehmerische Gestaltungsfreiheit hat, gerät schnell in ein Beschäftigungsverhältnis im rechtlichen Sinn. Die EU-Kommission arbeitet bereits an einer Plattformrichtlinie, die bei Vorliegen bestimmter Kriterien automatisch von einer abhängigen Beschäftigung ausgeht.
Beratung und Coaching: Fehlende Eigenständigkeit bei Stammkunden
Auch Berater:innen und Coaches sind betroffen – vor allem, wenn sie regelmäßig für denselben Kunden tätig sind, interne Systeme nutzen, Prozesse begleiten oder in Entscheidungsvorlagen eingebunden werden. Ohne unternehmerische Unabhängigkeit, eigene Kund:innenstruktur und klare Abgrenzung zum Auftraggeber besteht das Risiko, dass Behörden oder Gerichte von einem Arbeitsverhältnis ausgehen.
Start-ups und Agenturen: Praktische Risiken durch unsaubere Prozesse
Gerade in kleinen Unternehmen, wo Flexibilität und Nähe zum Team geschätzt werden, ist die Gefahr besonders groß. Wer „freie Mitarbeit“ pro forma vereinbart, aber im Alltag wie bei Angestellten plant, anweist und integriert, läuft Gefahr, rückwirkend Sozialabgaben und Steuern nachzahlen zu müssen – häufig über Jahre hinweg. Besonders problematisch ist es, wenn freie Mitarbeitende in Präsentationen, auf der Website oder in internen Rollenbeschreibungen als Teil des Teams geführt werden.
Erkenntnis für die Praxis: Muster wiederholen sich
Unabhängig von Branche oder Tätigkeit zeigt sich ein wiederkehrendes Muster:
Langfristige, exklusive Zusammenarbeit,
Persönliche Leistungserbringung ohne Vertretung,
Feste Einbindung in interne Abläufe,
Nutzung von Unternehmensressourcen,
Keine eigene Preisgestaltung oder Werbung.
Diese Merkmale deuten auf ein Abhängigkeitsverhältnis, selbst wenn formal „freier Dienstvertrag“ oder „Projektvertrag“ auf dem Papier steht.
Empfehlung: Frühzeitig prüfen, klar dokumentieren
Unternehmen sollten bei jeder freien Zusammenarbeit folgende Fragen stellen:
Hat die Person mehrere Auftraggeber:innen?
Kann sie Zeit, Ort und Art der Tätigkeit selbst bestimmen?
Trägt sie ein unternehmerisches Risiko?
Besteht eine klare Abgrenzung zu internen Abläufen?
Wenn mehrere Antworten negativ ausfallen, besteht Handlungsbedarf – durch Umstrukturierung, Statusfeststellung oder Neugestaltung der Zusammenarbeit.
Professionelles Risikomanagement schützt
Die dargestellten Fallbeispiele zeigen: Scheinselbstständigkeit ist branchenübergreifend relevant. Wer sich professionell aufstellt, frühzeitig prüft und klare Strukturen schafft, kann sich rechtlich absichern – und das Vertrauen von Auftragnehmer:innen, Behörden und Kund:innen stärken.
7. Sozialversicherungsrechtliche Folgen – Beitragspflicht, Nachzahlung und Haftung
Die sozialversicherungsrechtlichen Folgen einer Scheinselbstständigkeit sind weitreichend – und können Unternehmen wie Betroffene finanziell schwer belasten. Besonders kritisch ist dabei die Rückwirkung: Wird nachträglich festgestellt, dass eine scheinbar selbstständige Tätigkeit in Wirklichkeit ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis war, drohen Nachforderungen für mehrere Jahre – inklusive Säumniszuschlägen und der persönlichen Haftung von Geschäftsführenden.
Sozialversicherungspflicht kraft Gesetzes
Nach § 7 Abs. 1 SGB IV liegt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor, wenn eine Tätigkeit weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Dies gilt unabhängig davon, wie ein Vertrag bezeichnet ist oder wie die Vergütung ausgestaltet wurde. Maßgeblich ist allein die tatsächliche Durchführung der Zusammenarbeit.
Ein festgestelltes Beschäftigungsverhältnis führt zur Pflichtversicherung in allen fünf Zweigen der Sozialversicherung:
Krankenversicherung (§ 5 SGB V),
Pflegeversicherung (§ 20 SGB XI),
Rentenversicherung (§ 1 SGB VI),
Arbeitslosenversicherung (§ 25 SGB III),
Unfallversicherung (über die jeweilige Berufsgenossenschaft).
Nachzahlungspflicht für Arbeitgeber:innen
Wird eine Scheinselbstständigkeit im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgedeckt, ist der vermeintliche Auftraggeber nach § 28e SGB IV verpflichtet, sämtliche Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen – rückwirkend für bis zu vier Jahre. Bei Vorsatz beträgt der Prüfzeitraum sogar zehn Jahre. Die Nachzahlung umfasst:
Arbeitgeberanteile und Arbeitnehmeranteile (auch wenn diese nicht einbehalten wurden),
Säumniszuschläge in Höhe von 1 % pro Monat (§ 24 SGB IV),
Verzugszinsen und ggf. Beitragszuschläge.
Die Forderungen summieren sich schnell – insbesondere bei langen Vertragslaufzeiten oder mehreren scheinselbstständigen Personen.
Keine Entlastung durch Verträge oder Absprachen
Auch wenn beide Parteien ausdrücklich eine freie Mitarbeit vereinbart haben, schützt dies nicht vor den Konsequenzen. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Sozialversicherungspflicht nicht dispositiv ist – also nicht durch private Vereinbarungen umgangen werden kann. Arbeitgeber:innen haben daher eine besondere Verantwortung, die rechtlichen Rahmenbedingungen korrekt zu prüfen und zu beachten.
Haftung der Geschäftsführung
Ein besonders sensibles Thema ist die persönliche Haftung von Geschäftsführer:innen. Nach § 823 BGB in Verbindung mit § 266a StGB (Vorenthalten von Arbeitsentgelt) kann auch eine strafrechtliche Verantwortung entstehen, wenn Sozialversicherungsbeiträge vorsätzlich nicht abgeführt werden. Das gilt selbst dann, wenn keine Bereicherungsabsicht bestand. In der Praxis reicht bereits das bewusste Inkaufnehmen der Scheinselbstständigkeit – etwa zur Vermeidung von Lohnnebenkosten – für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.
Keine Verjährung bei Straftatbestand
Ein besonders gravierender Aspekt ist die unterbrochene Verjährung bei strafrechtlicher Relevanz. Wird z. B. ein Ermittlungsverfahren wegen § 266a StGB eingeleitet, ruht die Verjährung der Beitragsschuld. Das bedeutet: Die Nachzahlungspflicht kann auch dann noch bestehen, wenn die reguläre Frist von vier Jahren längst abgelaufen ist. In solchen Fällen drohen erhebliche Rückforderungen und ggf. strafrechtliche Konsequenzen – inklusive Geld- oder Freiheitsstrafen.
Rechtsfolgen für die betroffene Person
Auch für die als scheinselbstständig tätige Person kann die Feststellung erhebliche Konsequenzen haben. Sie verliert ihren Status als Selbstständige:r, muss bereits gezahlte Umsatzsteuer zurückerstatten, unterliegt der Lohnsteuerpflicht und ist rückwirkend sozialversicherungspflichtig. Gleichzeitig können Beiträge zur privaten Krankenversicherung oder zur Altersvorsorge nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden.
Krankenkassen und Rentenversicherung als aktive Prüfinstanz
Die Aufdeckung erfolgt meist durch:
Betriebsprüfungen der Rentenversicherung (§ 28p SGB IV),
Anfragen durch gesetzliche Krankenkassen,
Hinweise von Mitbewerber:innen, Finanzämtern oder sogar Auftragnehmer:innen selbst,
Prüfung im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren oder Steuerprüfungen.
Diese Prüfungen sind systematisch angelegt – und zunehmend datengetrieben. Auch Betriebsprüfungssoftware kann heute auffällige Vertragskonstellationen automatisch erkennen und melden.
Rückwirkung und Bestandsschutz – häufig falsch verstanden
Ein oft missverstandenes Argument lautet, es gebe eine „Vertrauensschutzregelung“ für alte Verträge. Das ist nur sehr eingeschränkt zutreffend: Bestehende Verträge schützen nicht vor Nachforderungen, wenn sich im Verlauf der Zusammenarbeit die tatsächlichen Verhältnisse verändern. Selbst bei langjähriger Zusammenarbeit kann eine neue Beurteilung erfolgen – z. B. wenn der Grad der Eingliederung steigt oder die wirtschaftliche Abhängigkeit wächst.
Beitragsschuld auch bei vorzeitiger Vertragsbeendigung
Wird ein scheinselbstständiges Verhältnis beendet, bevor es geprüft wird, entfällt die Nachzahlungspflicht nicht automatisch. Eine Prüfung kann auch nachträglich für abgeschlossene Zeiträume erfolgen – mit entsprechenden Zahlungsaufforderungen. Die Beendigung schützt also nicht vor rechtlichen Konsequenzen.
Zusammengefasst: Sorgfalt zahlt sich aus
Die sozialversicherungsrechtlichen Folgen einer Scheinselbstständigkeit sind hochriskant – finanziell, rechtlich und unternehmerisch. Wer auf freie Mitarbeit setzt, sollte frühzeitig prüfen, dokumentieren und im Zweifel das Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV) nutzen. Besonders wichtig ist es, sich fachkundig beraten zu lassen, denn die Beurteilung ist komplex – und ein Fehler kann teuer werden. Unternehmerische Weitsicht und rechtliche Sorgfalt sind hier kein Bonus, sondern eine Notwendigkeit.
8. Steuerliche Folgen – Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Betriebsausgaben
Wird eine freie Mitarbeit nachträglich als Scheinselbstständigkeit eingestuft, hat das auch erhebliche steuerliche Konsequenzen – für beide Seiten. Während Arbeitgeber:innen mit Lohnsteuerforderungen, Nachzahlungszinsen und Verlusten beim Betriebsausgabenabzug rechnen müssen, kann es für die betroffene Person zur Rückzahlung von Umsatzsteuer, Verlust der Betriebsausgabenerstattung oder zur Versagung von steuerlichen Privilegien kommen. Die Auswirkungen reichen oft mehrere Jahre zurück – inklusive aller betroffenen Steuerbescheide.
Rückwirkende Umqualifizierung des Honorars in Arbeitslohn
Der zentrale steuerliche Effekt besteht darin, dass das gezahlte Honorar rückwirkend als Arbeitslohn behandelt wird. Die Finanzverwaltung folgt dabei dem sozialversicherungsrechtlichen Ergebnis oder einer eigenen Prüfung nach § 19 EStG. Das hat folgende Folgen:
Der Auftraggeber wird zum Arbeitgeber – mit allen steuerlichen Pflichten.
Die Honorarzahlung gilt rückwirkend als Bruttolohn – also inklusive Arbeitgeber:innenanteil zur Lohnsteuer.
Der oder die Betroffene muss sich als Arbeitnehmer:in behandeln lassen – mit allen Konsequenzen für Werbungskosten, Vorsorgeaufwendungen und Steuerprogression.
Das gilt selbst dann, wenn beide Seiten ausdrücklich eine selbstständige Tätigkeit vereinbart haben. Entscheidend ist die tatsächliche Durchführung, nicht der Vertrag.
Pflichten nach § 42d EStG: Lohnsteuerhaftung des Auftraggebers
Wenn sich nachträglich herausstellt, dass keine selbstständige Tätigkeit, sondern ein echtes Beschäftigungsverhältnis vorlag, haftet der oder die Auftraggeber:in nach § 42d Abs. 1 EStG für die nicht abgeführte Lohnsteuer. Die Finanzverwaltung kann die ausstehende Lohnsteuer rückwirkend bis zu vier Jahre einfordern – bei Vorsatz sogar bis zu zehn Jahre rückwirkend, zuzüglich Zinsen nach § 233a AO.
Hinzu kommen in der Praxis oft:
Säumniszuschläge nach § 240 AO,
Haftungsbescheide, die sich auf das gesamte Bruttohonorar beziehen,
Ermittlungsverfahren, wenn Anhaltspunkte für vorsätzliches Handeln bestehen (§ 370 AO).
Umsatzsteuer: Gefahr des unberechtigten Steuerausweises
Ein besonders heikles Thema ist die Umsatzsteuer. Scheinselbstständige stellen in der Regel Rechnungen mit Umsatzsteuer, die von Unternehmen als Vorsteuer geltend gemacht wird. Wird die Tätigkeit später als abhängige Beschäftigung eingeordnet, handelt es sich nicht mehr um eine unternehmerische Leistung im Sinne des § 2 UStG. Das führt zu folgenden Konsequenzen:
Der Vorsteuerabzug wird rückwirkend versagt – mit entsprechender Nachforderung durch das Finanzamt.
Die betroffene Person haftet für zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c UStG.
Zinsen und ggf. Zuschläge fallen zusätzlich an.
In der Praxis bedeutet das oft eine Rückzahlung in fünfstelliger Höhe – für beide Seiten.
Auswirkungen auf die Betriebsausgaben der Selbstständigen
Viele Scheinselbstständige machen Betriebsausgaben geltend – etwa für ein Arbeitszimmer, Fahrten, Büromaterial oder Versicherungen. Wird die Tätigkeit rückwirkend als nichtselbstständig eingestuft, erkennt das Finanzamt diese Aufwendungen nicht mehr als Betriebsausgaben an. Sie gelten dann höchstens noch als Werbungskosten – mit deutlich geringerer steuerlicher Wirkung.
Auch Abschreibungen, Investitionen oder Sonderausgaben (z. B. für Altersvorsorge, beruflich genutzte Software oder Leasingverträge) können rückwirkend gestrichen werden. Besonders betroffen sind Personen, die in den Folgejahren Verluste verrechnet oder Vorauszahlungen geleistet haben.
Verlust steuerlicher Privilegien und Gestaltungsmöglichkeiten
Die Umqualifizierung führt oft auch dazu, dass Selbstständige rückwirkend den Zugang zu bestimmten steuerlichen Vorteilen verlieren – z. B.:
Anwendung des § 4 Abs. 3 EStG (Einnahmen-Überschuss-Rechnung),
Sonderabschreibungen nach § 7g EStG (Investitionsabzugsbetrag),
Umsatzsteueroptionen (Kleinunternehmerregelung, Ist-Versteuerung),
Steuerliche Anerkennung von Aufwendungen für Berufsverbände, Fortbildung, Altersvorsorge.
Auch steuerliche Gestaltungsspielräume – wie die Gewinnverlagerung, Thesaurierung oder die Nutzung von Verlustvorträgen – entfallen bei einer nachträglichen Umqualifizierung.
Berichtigungspflichten und Änderungsbescheide
Wird die Scheinselbstständigkeit festgestellt, müssen sowohl das Unternehmen als auch die betroffene Person alle betroffenen Steuererklärungen und Bescheide korrigieren – in der Regel für mehrere Jahre. Das betrifft insbesondere:
Einkommensteuererklärungen,
Umsatzsteuerjahreserklärungen,
Lohnsteueranmeldungen (nachträgliche Abgabe erforderlich),
Betriebsprüfungsfeststellungen.
Das Finanzamt kann auch Festsetzungsfristen verlängern, wenn Anhaltspunkte für unrichtige oder unvollständige Angaben vorliegen (§ 169 AO). Die steuerlichen Folgen können dadurch weiter zurückreichen als zunächst vermutet.
Strafrechtliche Risiken bei Vorsatz
Wird nachgewiesen, dass eine Scheinselbstständigkeit wissentlich in Kauf genommen wurde, kann die Finanzbehörde ein Steuerstrafverfahren nach § 370 AO (Steuerhinterziehung) einleiten. Das betrifft vor allem Fälle, in denen bewusst keine Lohnsteuer abgeführt, keine korrekten Rechnungen gestellt oder Betriebsausgaben unrechtmäßig geltend gemacht wurden. Die mögliche Strafe reicht von Geldbußen bis hin zu Freiheitsstrafen – bei Unternehmer:innen auch mit Wirkung auf das Führungszeugnis und die Gewerbeerlaubnis.
Empfehlung: Steuerlich frühzeitig begleiten lassen
Gerade wegen der komplexen Rechtsfolgen sollten Steuerberater:innen von Anfang an in die Vertragsgestaltung und Abgrenzung eingebunden werden. So können rechtssichere Lösungen gefunden werden – etwa durch klare Vertragsklauseln, richtige Abrechnungswege oder ein Statusfeststellungsverfahren. Auch im Fall bereits bestehender Unsicherheit kann eine steuerliche Analyse helfen, Risiken zu bewerten und rechtzeitig gegenzusteuern.
Risikovermeidung durch saubere Strukturen
Wer auf freie Mitarbeit setzt, sollte nicht nur arbeitsrechtlich, sondern auch steuerlich sauber aufgestellt sein. Das bedeutet: Verträge und Honorare so gestalten, dass die tatsächliche Tätigkeit klar als unternehmerisch erkennbar ist – mit eigener Preisgestaltung, unternehmerischem Risiko, Kund:innenvielfalt und eigenständiger Organisation.
9. Strafrechtliche Risiken und Bußgeldvorschriften bei Scheinselbstständigkeit
Scheinselbstständigkeit ist nicht nur ein sozial- und steuerrechtliches Problem – sie kann unter bestimmten Umständen auch strafrechtlich relevant sein. Wer vorsätzlich falsche Angaben macht, Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält oder Finanzbehörden bewusst täuscht, macht sich strafbar. Unternehmen und verantwortliche Personen – insbesondere Geschäftsführer:innen – müssen sich darüber im Klaren sein, dass es bei Verstößen nicht nur um Geld geht, sondern auch um strafrechtliche Folgen wie Geldstrafen, Freiheitsstrafen und Einträge ins Führungszeugnis.
§ 266a StGB – Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Der zentrale Straftatbestand im Zusammenhang mit Scheinselbstständigkeit ist § 266a StGB. Er stellt das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen unter Strafe – unabhängig davon, ob dies durch offene Nichtzahlung oder durch eine bewusste Fehleinstufung geschieht. Das bedeutet: Wer weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass eine freie Mitarbeit tatsächlich ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt, aber dennoch keine Beiträge abführt, handelt strafbar.
Die Strafe reicht:
bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe oder
Geldstrafe, je nach Schwere und Vorsatz.
Bereits der bedingte Vorsatz genügt – es reicht, wenn jemand die Möglichkeit der Scheinselbstständigkeit erkennt und trotzdem nichts unternimmt. Eine Schutzbehauptung wie „Ich dachte, das wäre in Ordnung“ wird in der Praxis oft nicht anerkannt, wenn objektiv deutliche Hinweise auf eine Beschäftigung vorlagen (OLG Hamm, 5 RVs 22/18).
§ 370 AO – Steuerhinterziehung
Neben dem sozialversicherungsrechtlichen Strafbestand spielt auch das Steuerrecht eine zentrale Rolle. Nach § 370 Abgabenordnung (AO) macht sich strafbar, wer:
Steuern verkürzt,
steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtig oder unvollständig mitteilt,
oder unrichtige Unterlagen verwendet, um falsche Steuerfestsetzungen zu erreichen.
Im Fall der Scheinselbstständigkeit liegt eine Steuerhinterziehung z. B. vor, wenn:
statt Lohnsteuer irrtümlich Umsatzsteuer abgeführt wird,
keine Lohnsteueranmeldung erfolgt,
die selbstständige Tätigkeit nur vorgeschoben wurde.
Auch hier sind Geldstrafen, Freiheitsstrafen und Einträge ins Gewerbezentralregister die Folge. Bei besonders schweren Fällen (§ 370 Abs. 3 AO) – z. B. durch hohe Schadenssummen oder Wiederholung – drohen Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren.
Verantwortlichkeit der Geschäftsführung
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit trifft in Unternehmen regelmäßig die Geschäftsleitung. Nach der sogenannten Organverantwortlichkeit haften Geschäftsführer:innen oder Vorstandspersonen persönlich, wenn sie ihren Organisationspflichten nicht nachkommen. Sie sind verpflichtet:
rechtzeitig und umfassend über mögliche Scheinselbstständigkeit aufzuklären,
entsprechende Kontrollen durchzuführen,
bei Zweifeln ein Statusfeststellungsverfahren zu veranlassen.
Ein Delegieren an die Personalabteilung oder eine externe Agentur schützt nicht vor Strafverfolgung, wenn keine wirksame Überwachung erfolgt. Auch mittelgroße und kleine Unternehmen unterliegen dieser Verantwortung – ebenso wie Einzelunternehmer:innen.
Möglichkeit der Selbstanzeige – aber mit engen Grenzen
In bestimmten Konstellationen kann eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO in Betracht kommen – insbesondere bei noch nicht geprüften Sachverhalten. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch sehr streng. Eine wirksame Selbstanzeige muss:
vollständig und rechtzeitig erfolgen,
alle relevanten Jahre und Beträge erfassen,
vor Bekanntgabe einer Betriebsprüfung eingereicht werden.
Bei bereits laufenden Prüfungen oder Ermittlungen ist eine strafbefreiende Wirkung in der Regel ausgeschlossen. Dennoch kann eine Selbstanzeige strafmildernd wirken – und eine Einstellung gegen Auflagen ermöglichen (§ 153a StPO).
Bußgeldvorschriften im Ordnungswidrigkeitenrecht
Auch wenn keine Strafbarkeit vorliegt, können Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Nach § 111 SGB IV oder § 8 SchwarzArbG drohen Bußgelder, wenn z. B.:
Sozialversicherungsbeiträge nicht oder verspätet gezahlt werden,
Meldungen unterlassen oder fehlerhaft abgegeben werden,
falsche Angaben gegenüber Sozialversicherungsträgern gemacht werden.
Die Bußgelder können bis zu 25.000 € pro Einzelfall betragen – bei wiederholten Verstößen entsprechend mehr. In der Praxis sind Bußgeldverfahren oft der Vorbote eines späteren Strafverfahrens.
Prüf- und Ermittlungsbehörden arbeiten eng zusammen
Die Aufklärung erfolgt häufig durch:
Betriebsprüfungen der Rentenversicherung (§ 28p SGB IV),
Lohnsteuer-Außenprüfungen (§ 42f EStG),
Ermittlungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS),
Hinweise von ehemaligen Mitarbeitenden oder Mitbewerber:innen.
Ein einzelner Hinweis – z. B. aus einer Statusanfrage bei der Krankenversicherung – kann zur Einleitung einer umfassenden Prüfung und Strafverfolgung führen.
Reputationsschäden und Folgekosten
Neben strafrechtlichen Sanktionen drohen auch erhebliche Reputationsverluste. Ein laufendes Ermittlungsverfahren kann öffentliche Bekanntheit erlangen – insbesondere bei größeren Unternehmen, im Gesundheitsbereich oder bei öffentlichen Auftragnehmern. Der Verlust von Vertrauen, Aufträgen oder öffentlichen Fördermitteln kann wirtschaftlich schwerer wiegen als jede Geldstrafe.
Compliance-Systeme als Schutzschild
Moderne Unternehmen bauen Compliance-Strukturen auf, um Risiken frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Dazu gehören:
klare Verträge und Schulungen,
systematische Statusprüfungen,
regelmäßige Überprüfung der internen Prozesse,
Dokumentation aller relevanten Entscheidungen.
Wer sich an Recht und Gesetz hält – und das nachweisen kann –, verringert das Risiko strafrechtlicher Konsequenzen erheblich. Das gilt insbesondere bei Selbstanzeigen, Kooperation mit den Behörden und der Nutzung präventiver Instrumente wie dem Statusfeststellungsverfahren.
Fazit in neuer Form: Rechtssicherheit durch aktive Prävention
Die strafrechtlichen und bußgeldrechtlichen Risiken bei Scheinselbstständigkeit sind erheblich – aber sie sind vermeidbar. Entscheidend ist nicht, ob ein Unternehmen Fehler gemacht hat, sondern wie früh es reagiert. Wer sich ehrlich, professionell und rechtstreu aufstellt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch das Vertrauen der Geschäftspartner:innen, der Mitarbeitenden und der Gesellschaft.
10. Strategien für Unternehmen – So gelingt die rechtssichere Gestaltung
Unternehmen stehen heute mehr denn je unter dem Druck, flexibel zu arbeiten – ohne dabei in rechtliche Fallen wie die Scheinselbstständigkeit zu geraten. Die gute Nachricht: Mit klaren Prozessen, rechtssicherer Gestaltung und professioneller Begleitung lässt sich die freie Mitarbeit risikolos organisieren. In diesem Kapitel zeige ich dir die wichtigsten Strategien, mit denen Unternehmen rechtssicher agieren – und gleichzeitig die Vorteile externer Fachkräfte nutzen können.
1. Ausgangspunkt: Klare Analyse jedes Einzelfalls
Nicht jede freie Mitarbeit ist riskant – aber jede sollte geprüft werden. Die erste Strategie besteht daher darin, jede externe Zusammenarbeit zu analysieren:
Wie ist die Tätigkeit organisiert?
Gibt es Vorgaben zu Zeit, Ort oder Inhalt?
Werden eigene Betriebsmittel genutzt?
Besteht wirtschaftliche Unabhängigkeit?
Diese Fragen bilden die Grundlage für die weitere Gestaltung. Je eher die Antwort in Richtung „abhängig“ tendiert, desto größer der Handlungsbedarf.
2. Verträge mit Substanz – keine reinen „Freelancer-Formulare“
Viele Unternehmen verwenden standardisierte Vertragsmuster für freie Mitarbeit – doch diese helfen nur begrenzt. Entscheidend ist, dass der Vertrag die unternehmerische Eigenständigkeit klar erkennen lässt, z. B. durch:
freie Zeiteinteilung,
keine ausschließliche Zusammenarbeit,
klare eigene Verantwortungsbereiche,
Möglichkeit zur Vertretung durch Dritte,
eigene Betriebsmittel,
projektspezifische Vergütung statt fixer Monatsbeträge.
Dabei gilt: Ein guter Vertrag schützt nicht allein – aber ein schlechter Vertrag verschärft das Risiko erheblich.
3. Gelebte Praxis muss zum Vertrag passen
Die größte Fehlerquelle ist die Diskrepanz zwischen Vertrag und Wirklichkeit. Ein Vertrag, der Selbstständigkeit vorgibt, aber ein Verhalten zeigt, das einem Angestelltenverhältnis entspricht, führt fast automatisch zu rechtlichen Problemen. Deshalb muss die gelebte Praxis dokumentiert und regelmäßig überprüft werden. Es gilt: Der Vertrag ist die Form – die tägliche Zusammenarbeit ist die Substanz.
4. Dokumentation schafft Beweise
Ein häufig übersehener Punkt: In Zweifelsfällen müssen Unternehmen nachweisen können, dass eine Tätigkeit selbstständig war. Deshalb sollten folgende Dokumente sorgfältig archiviert werden:
Leistungsnachweise und Rechnungen,
Kommunikation zur Auftragsvergabe,
Arbeitsproben und Ergebnisdokumente,
Hinweise auf weitere Auftraggeber:innen,
Nachweise über eigene Betriebsmittel und Arbeitsorte.
Auch kurze Vermerke („freie Zeiteinteilung vereinbart“, „eigene Software genutzt“) können im Zweifel entscheidend sein.
5. Statusfeststellungsverfahren proaktiv nutzen
Wie in Kapitel 5 beschrieben, ist das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV eines der wichtigsten Instrumente zur Risikovermeidung. Unternehmen sollten es nicht als Risiko, sondern als Chance zur Klarheitbegreifen. Besonders bei:
langfristiger Zusammenarbeit,
unklarer Eingliederung,
hoher wirtschaftlicher Abhängigkeit,
oder bei wiederkehrenden Aufträgen.
Die Entscheidung der Rentenversicherung schafft Rechtssicherheit – auch bei Betriebsprüfungen oder Ermittlungen.
6. Interne Prozesse und Verantwortlichkeiten festlegen
Wer mit freien Mitarbeitenden arbeitet, sollte das Thema in die unternehmensinterne Compliance integrieren. Dazu gehört:
eine verantwortliche Stelle oder Person,
klare Vorgaben für die Vertragsgestaltung,
regelmäßige Selbstprüfung und Monitoring,
Schulungen für HR, Projektleitung und Führungskräfte.
Scheinselbstständigkeit ist kein „Problem der Buchhaltung“, sondern ein querschnittliches Organisationsthema.
7. Unterschiedliche Modelle rechtssicher nutzen
Nicht jede flexible Zusammenarbeit muss als freie Mitarbeit organisiert sein. Es gibt zahlreiche Alternativen:
Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG),
kurzfristige Beschäftigung (§ 8 SGB IV),
Minijob,
Werkverträge mit klaren Abgrenzungen,
verdeckte Arbeitnehmerüberlassung mit Genehmigung.
Auch Interim-Management oder Consulting über Agenturen kann helfen, rechtliche Risiken zu reduzieren – sofern die Vertragskette transparent und die Einsatzbedingungen korrekt geregelt sind.
8. Fehler erkennen – und rechtzeitig reagieren
Wenn sich Hinweise auf eine Scheinselbstständigkeit verdichten, sollten Unternehmen aktiv reagieren, statt abzuwarten. Möglichkeiten sind z. B.:
Anpassung der Vertragsbedingungen,
Änderung der Aufgabenverteilung,
Einholung externer Beratung,
oder im Zweifel die Umstellung auf ein echtes Arbeitsverhältnis.
Ein offener, konstruktiver Umgang mit freien Mitarbeitenden ist hier besonders wichtig – viele scheuen sich nicht, im Streitfall ihre Rechte geltend zu machen.
9. Externe Beratung als Investition in Sicherheit
Wer regelmäßig mit freien Mitarbeitenden arbeitet, sollte steuerliche und rechtliche Beratung aktiv einbeziehen – nicht nur im Streitfall, sondern bereits in der Planungsphase. Eine präventive Einschätzung kostet meist deutlich weniger als ein späteres Verfahren vor dem Sozialgericht oder die Nachzahlung von Beiträgen für mehrere Jahre.
10. Rechtssicherheit ist kein Luxus – sondern ein Wettbewerbsvorteil
Unternehmen, die ihre Prozesse sauber aufsetzen, gewinnen nicht nur rechtlich, sondern auch unternehmerisch. Sie können mit klaren Angeboten werben, transparente Bedingungen schaffen, Fachkräfte binden und ihren guten Ruf wahren. In Zeiten von Fachkräftemangel und Plattformarbeit ist Vertrauen ein entscheidender Erfolgsfaktor – und das beginnt mit rechtssicherer Zusammenarbeit.
11. Typische Fehler und wie man sie vermeidet
Scheinselbstständigkeit ist kein exotisches Randproblem – sie entsteht oft durch typische Alltagsfehler, die sich leicht vermeiden ließen. Unwissen, Bequemlichkeit oder fehlende Kommunikation führen dazu, dass freie Mitarbeitende wie Angestellte behandelt werden, ohne dass es jemand bewusst plant. Genau deshalb ist Prävention der beste Schutz. In diesem Kapitel zeige ich dir die häufigsten Fehlerquellen – und wie Unternehmen, Selbstständige und Berater:innen sie zuverlässig umgehen können.
Vertrag und Wirklichkeit passen nicht zusammen
Der mit Abstand häufigste Fehler: Ein Vertrag beschreibt eine freie Mitarbeit, aber die tägliche Arbeit entspricht einem klassischen Angestelltenverhältnis. Die betroffene Person wird eingeteilt, erhält Anweisungen, nutzt interne Tools, ist auf Zuruf verfügbar – und das über Monate oder Jahre. In der Prüfung zählt nicht der Vertrag, sondern die gelebte Realität. Wenn beide nicht übereinstimmen, sind rechtliche Folgen programmiert.
Zu lange Zusammenarbeit mit nur einem Auftraggeber
Viele Selbstständige arbeiten über Jahre hinweg fast ausschließlich für einen einzigen Kunden. Das ist wirtschaftlich bequem – rechtlich aber riskant. Je länger die Zusammenarbeit andauert und je höher die wirtschaftliche Abhängigkeit, desto größer ist die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit. Ab einer Quote von über 80 % Auftragsvolumen von einem einzigen Kunden ist äußerste Vorsicht geboten.
Fehlende Möglichkeit zur Vertretung
Selbstständige haben grundsätzlich das Recht, sich vertreten zu lassen – etwa durch Mitarbeitende oder qualifizierte Subunternehmer:innen. Fehlt diese Option ausdrücklich oder wird sie faktisch unterbunden („wir brauchen dich persönlich“), spricht das gegen unternehmerische Freiheit. Unternehmen sollten sicherstellen, dass Vertretungsrechte nicht nur im Vertrag stehen, sondern auch in der Praxis akzeptiert werden.
Feste Arbeitszeiten, Präsenzpflicht oder Anwesenheitslisten
Ein weiteres Warnsignal sind feste Zeiten: Wenn externe Fachkräfte zu bestimmten Uhrzeiten erscheinen müssen, sich in Zeitlisten eintragen oder an Meetings teilnehmen müssen, spricht vieles für eine abhängige Beschäftigung. Selbstständige müssen ihre Zeit selbst einteilen können – das ist einer der zentralen Unterscheidungspunkte zum Arbeitsverhältnis.
Bereitstellung von Betriebsmitteln durch den Auftraggeber
Wer mit dem Laptop, der Software, dem Fahrzeug oder der Uniform des Auftraggebers arbeitet, ist häufig nicht eigenständig tätig. Das gilt besonders, wenn keine Pauschale vereinbart wurde und die Nutzung kostenfrei erfolgt. Selbstständige müssen in der Regel ihre Betriebsmittel selbst stellen – das ist Teil des unternehmerischen Risikos.
Kommunikation über interne Systeme
Die Nutzung von E-Mail-Adressen im Unternehmensformat (z. B. vorname.nachname@firma.de), Zugang zu internen Plattformen, regelmäßige Team-Updates oder Integration in Projektmanagement-Tools sind typische Indizien für eine betriebliche Eingliederung. Je stärker die betroffene Person in die interne Kommunikation eingebunden ist, desto kritischer wird es.
Keine eigene Außendarstellung der Auftragnehmenden
Scheinselbstständigkeit droht auch dann, wenn Auftragnehmende keine eigene Website, keine Werbung, kein Logo und keine klare Außendarstellung besitzen. Wer ausschließlich für einen Kunden arbeitet und sich öffentlich nicht als Unternehmen präsentiert, erweckt den Anschein einer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Auftraggeber:innen sollten darauf achten, dass freie Mitarbeitende auch am Markt als Unternehmer:innen sichtbar sind.
Keine oder mangelhafte Dokumentation
In vielen Unternehmen gibt es keine Nachweise darüber, wie die Zusammenarbeit tatsächlich erfolgt. Doch im Streitfall zählt jedes Detail: Wer wann was beauftragt hat, welche Ergebnisse geliefert wurden, ob eigene Mittel genutzt wurden, ob freie Zeiteinteilung möglich war. Wer hier nicht sauber dokumentiert, steht im Zweifel schlechter da – selbst bei rechtlich korrekter Ausgestaltung.
Kein Statusfeststellungsverfahren
Ein weiterer Kardinalfehler ist es, auf das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV zu verzichten – obwohl Unsicherheit besteht. Dabei ist es das einzige Verfahren, das verbindlich klärt, ob eine abhängige Beschäftigung oder echte Selbstständigkeit vorliegt. Unternehmen, die dieses Instrument nicht nutzen, verzichten freiwillig auf Rechtssicherheit – oft aus Angst vor einem negativen Ergebnis, obwohl Klarheit genau das wäre, was gebraucht wird.
Unklare Verantwortlichkeiten im Unternehmen
Viele Fehler entstehen, weil niemand so richtig verantwortlich ist: HR sieht sich nicht zuständig, das Projektteam ist überfordert, die Geschäftsleitung hat keine Zeit. Doch die Realität ist klar: Scheinselbstständigkeit ist ein Thema für die Führungsebene. Nur wer klare Zuständigkeiten schafft – z. B. in der Personalabteilung, bei der Rechtsabteilung oder externen Partner:innen – kann Risiken wirklich steuern.
Was lässt sich daraus ableiten?
Fehler entstehen nicht aus bösem Willen – sondern aus fehlendem System. Wer seine Prozesse überprüft, Zuständigkeiten klar regelt, Verträge anpasst und die Realität ehrlich reflektiert, kann Scheinselbstständigkeit vermeiden. Dazu gehört auch der offene Dialog mit den freien Mitarbeitenden. Viele begrüßen es, wenn rechtssicher gearbeitet wird – denn auch für sie steht viel auf dem Spiel.
Als erfahrene Steuer- und Unternehmensberatung unterstütze ich Sie gern dabei, Ihre Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und rechtssicher zu gestalten. Eine saubere Struktur ist kein Kostenfaktor, sondern ein Wettbewerbsvorteil.
12. Rechtssicher und flexibel – Gestaltungsoptionen in der Praxis
Scheinselbstständigkeit vermeiden bedeutet nicht, auf flexible Zusammenarbeit zu verzichten. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, rechtssicher mit externen Fachkräften zu arbeiten – ob als freie Mitarbeit, kurzfristige Beschäftigung, projektbezogener Werkvertrag oder temporäre Anstellung. Wichtig ist, dass die gewählte Form zum Inhalt, zur Dauer und zur organisatorischen Einbindung passt. In diesem Kapitel zeige ich dir erprobte Gestaltungsoptionen, die sowohl rechtlich sicher als auch unternehmerisch sinnvoll sind.
Freie Mitarbeit mit echter unternehmerischer Freiheit
Wenn eine freie Mitarbeit rechtssicher gestaltet werden soll, müssen alle Beteiligten sicherstellen, dass die Voraussetzungen für Selbstständigkeit tatsächlich erfüllt werden. Das bedeutet konkret:
Die Person kann über Zeit, Ort und Ablauf ihrer Arbeit frei verfügen.
Die Leistungserbringung erfolgt nicht im Rahmen betrieblicher Organisation.
Es bestehen weitere Auftraggeber:innen oder eine klare Außendarstellung.
Die Honorarstruktur lässt unternehmerisches Risiko erkennen (z. B. erfolgsabhängig oder pauschal pro Projekt).
Die betroffene Person nutzt eigene Betriebsmittel.
Es gibt keine festen Arbeitszeiten oder Meldepflichten.
Nur wenn diese Voraussetzungen in der Praxis erkennbar sind – und auch dokumentiert werden –, ist eine freie Mitarbeit langfristig tragfähig.
Werkvertrag statt freier Dienstvertrag
Eine weitere Möglichkeit besteht im Werkvertrag nach § 631 BGB. Im Unterschied zum Dienstvertrag schuldet die beauftragte Person hier ein konkretes Arbeitsergebnis, nicht nur ihre Tätigkeit. Typische Beispiele sind:
Die Entwicklung einer Softwareanwendung,
Die Erstellung eines Gutachtens,
Die Durchführung eines konkreten Schulungsprojekts,
Die Gestaltung einer Website.
Der Vorteil: Der Fokus liegt auf dem fertigen Werk, nicht auf der persönlichen Anwesenheit oder Integration. Wichtig ist aber, dass keine Eingliederung erfolgt, keine Weisungen erteilt werden und die Abnahme des Ergebnisses vertraglich geregelt ist.
Arbeit auf Abruf – flexibel, aber im Rahmen
Das Modell der „Arbeit auf Abruf“ nach § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eignet sich besonders für Tätigkeiten mit unregelmäßigem, aber wiederkehrendem Arbeitsanfall – etwa bei Servicepersonal, Aushilfen oder Projektassistenz. Die Vorteile:
Es handelt sich um ein echtes Arbeitsverhältnis – aber mit flexibler Stundenverteilung.
Die Arbeitszeiten werden kurzfristig abgestimmt.
Der oder die Beschäftigte hat trotzdem sozialen Schutz (Lohnfortzahlung, Rentenversicherung etc.).
Wichtig: Der Arbeitsvertrag muss Mindeststunden pro Woche oder Monat benennen. Fehlt diese Angabe, gelten laut Gesetz automatisch 20 Stunden pro Woche – mit entsprechenden Lohnansprüchen.
Kurzfristige Beschäftigung – ideal für zeitlich begrenzte Projekte
Bei klar abgegrenzten Einsätzen eignet sich die kurzfristige Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV. Sie ist sozialversicherungsfrei, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:
Die Tätigkeit ist auf maximal 3 Monate bzw. 70 Arbeitstage pro Jahr begrenzt.
Sie ist nicht berufsmäßig (z. B. bei Studierenden, Rentner:innen, Ferienaushilfen).
Es besteht ein klarer, schriftlicher Vertrag mit Beginn, Ende und Umfang.
Diese Option ist besonders für zeitlich klar umrissene Einsätze geeignet – etwa Messen, Events, Kampagnen oder saisonale Arbeiten.
Geringfügige Beschäftigung (Minijob)
Für regelmäßige, aber geringfügige Tätigkeiten bietet sich der Minijob an. Er ist sozialversicherungsfrei für die Beschäftigten (mit Option auf freiwillige Rentenversicherung) und kostengünstig für Arbeitgeber:innen. Die wichtigsten Eckpunkte:
520 €-Grenze pro Monat darf nicht überschritten werden,
Anmeldung bei der Minijob-Zentrale ist Pflicht,
Es gelten Mindestlohn und Urlaubsanspruch,
Keine Lohnsteuerpflicht bei Pauschalbesteuerung.
Der Minijob eignet sich besonders für regelmäßige Hilfstätigkeiten, administrative Unterstützung oder ergänzende Aufgaben mit festem Umfang.
Anstellung mit Teilzeit oder Projektbefristung
In vielen Fällen ist die Teilzeit- oder befristete Anstellung die rechtssicherste Form der Zusammenarbeit – gerade bei längerer Projektdauer oder enger Einbindung. Vorteile sind:
voller sozialer Schutz für die Mitarbeitenden,
keine Scheinselbstständigkeitsrisiken,
klare Zuständigkeiten und geringes Prüfungsrisiko,
Möglichkeit zur späteren Übernahme oder Beendigung.
Auch hier ist Flexibilität möglich – z. B. durch Stundenkonten, Homeoffice, befristete Verträge oder projektbezogene Befristungen nach § 14 TzBfG.
Kooperation über Agenturen oder Dienstleister:innen
Wenn externe Fachkräfte über vermittelte Strukturen eingebunden werden, kann dies das Risiko senken – etwa bei:
Personalvermittlungen,
Unternehmensberatungen,
spezialisierten Freelancer-Plattformen.
Wichtig ist, dass alle Verträge transparent gestaltet und gesetzeskonform sind. Bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung ohne Genehmigung droht wiederum ein hohes Risiko (§ 10 AÜG). Deshalb ist es sinnvoll, die Vermittlungsstruktur vorab juristisch prüfen zu lassen.
Eigene Kriterien entwickeln – und regelmäßig überprüfen
Jedes Unternehmen sollte einen internen Prüfkatalog entwickeln, um zu entscheiden, welche Beschäftigungsform zur jeweiligen Situation passt. Mögliche Kriterien sind:
Dauer der Zusammenarbeit,
Grad der Weisungsfreiheit,
Nutzung von Infrastruktur,
Grad der wirtschaftlichen Abhängigkeit,
Ziel der Leistung (Tätigkeit vs. Ergebnis).
Diese Checkliste hilft, bereits bei der Planung rechtssicher zu entscheiden – statt später Probleme zu lösen.
Handlungsimpuls: Flexibilität ist erlaubt – wenn sie rechtlich durchdacht ist
Viele Unternehmen glauben, freie Mitarbeit sei der einzige Weg zu mehr Beweglichkeit. Dabei gibt es zahlreiche legale Alternativen, die wirtschaftlich attraktiv und rechtlich unproblematisch sind – wenn sie bewusst gewählt und korrekt umgesetzt werden. Eine professionelle Beratung spart nicht nur Zeit, sondern oft auch hohe Folgekosten. Gern unterstütze ich Sie dabei, die passende Form für Ihre Projekte zu finden – rechtssicher, wirtschaftlich sinnvoll und praxisnah.
13. Bedeutung für Soloselbstständige und freie Berufe
Für Soloselbstständige und Angehörige freier Berufe ist die Gefahr der Scheinselbstständigkeit besonders groß – und oft existenzbedrohend. Viele arbeiten projektbezogen, ohne eigene Mitarbeitende, für wechselnde oder feste Auftraggeber:innen. Gerade diese Flexibilität, die für Selbstständige alltäglich ist, kann bei genauerer Prüfung als Kriterium für eine abhängige Beschäftigung gedeutet werden. Dieses Kapitel zeigt, warum gerade Soloselbstständige und Freiberufler:innen besonders aufmerksam sein müssen – und wie sie ihre Selbstständigkeit rechtssicher absichern können.
Zwischen Freiheit und Abhängigkeit – ein schmaler Grat
Soloselbstständige genießen die Unabhängigkeit: Sie arbeiten eigenverantwortlich, bestimmen ihre Arbeitszeit selbst, akquirieren Aufträge und tragen das unternehmerische Risiko. Doch diese Freiheiten verschwimmen schnell, wenn sich eine dauerhafte Zusammenarbeit mit einem Hauptauftraggeber etabliert – etwa bei:
regelmäßig wiederkehrenden Aufträgen,
enger Abstimmung mit internen Teams,
Nutzung betrieblicher Ressourcen,
klar definierten Arbeitszeiten oder
fehlender Möglichkeit zur Vertretung.
Gerade in solchen Konstellationen steigt das Risiko, dass Prüfer:innen – insbesondere der Rentenversicherung oder des Finanzamts – nicht mehr von echter Selbstständigkeit ausgehen, sondern eine verdeckte abhängige Beschäftigung annehmen.
Freie Berufe: Besondere Freiheit – aber nicht automatisch geschützt
Auch wer zu den sogenannten „freien Berufen“ gehört, ist nicht automatisch vor dem Vorwurf der Scheinselbstständigkeit geschützt. Das gilt für:
Ärzt:innen, Therapeut:innen,
Journalist:innen, Redakteur:innen,
Rechtsanwält:innen, Steuerberater:innen,
Ingenieur:innen, Architekt:innen,
Lehrende, Coaches und Trainer:innen.
Diese Berufsgruppen unterliegen zwar häufig besonderen Kammerregelungen und haben eine anerkannte Stellung – doch das Sozialrecht interessiert sich nicht für die Berufsbezeichnung, sondern für die tatsächlichen Umstände der Leistungserbringung. Wird beispielsweise eine Honorarärztin nach Dienstplan eingesetzt, entsteht auch bei formaler Freiberuflichkeit der Verdacht der Scheinselbstständigkeit.
Rentenversicherungspflicht für arbeitnehmerähnlich Selbstständige
Ein weiterer Aspekt betrifft die sogenannte arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit nach § 2 Nr. 9 SGB VI. Wer:
auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist,
und keine sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter:innen beschäftigt,
ist grundsätzlich rentenversicherungspflichtig – auch ohne dass Scheinselbstständigkeit vorliegt. Diese Regelung betrifft insbesondere Soloselbstständige in der Anfangsphase oder bei vorübergehender wirtschaftlicher Einengung. Wird diese Pflicht übersehen, drohen Nachforderungen der Rentenversicherung – oft über mehrere Jahre rückwirkend.
Statusfeststellungsverfahren – auch für Selbstständige empfehlenswert
Soloselbstständige sollten nicht zögern, das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV selbst zu beantragen – insbesondere wenn:
der Auftraggeber zur Mitarbeit aufruft,
vertragliche Regelungen unklar sind,
bereits eine längere Zusammenarbeit besteht,
Unsicherheit über die Eingliederung in betriebliche Abläufe herrscht.
Auch wenn der Antrag vom Auftraggeber abgelehnt wird, kann die oder der Selbstständige das Verfahren allein initiieren. Die Entscheidung der Clearingstelle bringt Rechtssicherheit und Schutz vor späteren Rückforderungen.
Besondere Risiken bei Rückumqualifizierung
Wird eine freie Tätigkeit rückwirkend als abhängige Beschäftigung eingestuft, hat das für Soloselbstständige oft besonders gravierende Folgen:
Verlust des Unternehmerstatus – inklusive Rückzahlung von Umsatzsteuer,
Aberkennung von Betriebsausgaben,
Löschung von Investitionsabzugsbeträgen,
Nachzahlungen an Krankenkasse und Rentenversicherung,
Wegfall steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten,
ggf. sogar Rückforderungen aus Fördermitteln oder Stipendien.
Besonders bitter: Die Scheinselbstständigkeit kann auch dann festgestellt werden, wenn die Selbstständigkeit nach außen hin glaubhaft kommuniziert wurde – etwa über Website, Logo oder Honorarvereinbarungen.
Empfehlungen zur Absicherung
Soloselbstständige und Freiberufler:innen können aktiv Maßnahmen ergreifen, um ihre rechtliche Position zu stärken:
Mehrere Auftraggeber gleichzeitig bedienen,
eigene Preisgestaltung und eigene AGB entwickeln,
eigene Betriebsstätte oder digitales Büro nutzen,
professionelle Außendarstellung pflegen (Website, Impressum, Portfolio),
Klare Vertragsgestaltung mit Ergebnisverpflichtung,
Vertretungsmöglichkeiten explizit regeln,
Eigenes Risiko dokumentieren (z. B. keine Lohnfortzahlung, keine Urlaubsansprüche).
Auch regelmäßige Beratung durch eine Steuerkanzlei oder einen Fachanwalt für Sozialrecht ist empfehlenswert – nicht nur im Problemfall, sondern schon bei der Vertragsaufnahme.
Zukunftsszenario: Selbstständigkeit neu definieren?
In politischen und juristischen Debatten wird zunehmend gefordert, die Regeln für Selbstständigkeit zu modernisieren. Plattformarbeit, hybrides Arbeiten und neue Erwerbsformen verändern die Realität. Das birgt Chancen, aber auch neue Risiken. Umso wichtiger ist es, dass sich Soloselbstständige aktiv mit ihrer eigenen Positionierung auseinandersetzen – nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch zur langfristigen wirtschaftlichen Absicherung.
Handlungsimpuls: Selbstständigkeit bedeutet Verantwortung
Wer als Soloselbstständige:r oder Freiberufler:in arbeitet, ist nicht nur Expert:in im eigenen Fach, sondern auch Unternehmer:in. Das bedeutet: rechtliche Risiken erkennen, vermeiden und dokumentieren. Ich unterstütze Sie gern dabei, Ihre Selbstständigkeit rechtssicher und zukunftsfähig zu gestalten – mit klarem Blick für die Praxis und dem Anspruch, dass Sie arbeiten können, wie Sie es wollen – aber ohne rechtliche Stolperfallen.
14. Compliance, Schulung und Dokumentation
Scheinselbstständigkeit ist nicht nur ein rechtliches Risiko – sie ist auch eine Frage der Unternehmenskultur und Organisationsstruktur. Unternehmen, die externe Fachkräfte einsetzen, müssen sicherstellen, dass gesetzliche Vorgaben eingehalten, Mitarbeitende regelmäßig geschult und Prozesse zuverlässig dokumentiert werden. Genau hier setzt ein funktionierendes Compliance-System an. In diesem Kapitel erfahren Sie, wie sich durch Schulung, interne Kommunikation und strukturierte Dokumentation rechtliche Risiken vermeiden lassen – und gleichzeitig Vertrauen und Transparenz entstehen.
Compliance als Bestandteil moderner Unternehmensführung
Compliance bedeutet regelkonformes Verhalten – sowohl im Hinblick auf gesetzliche Vorschriften als auch auf unternehmensinterne Richtlinien. Bezogen auf das Thema Scheinselbstständigkeit umfasst dies insbesondere:
die Einhaltung arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Vorgaben,
die korrekte steuerliche Einstufung von Leistungen,
eine transparente Vertragsgestaltung und Kontrolle,
sowie die Sensibilisierung aller Beteiligten für potenzielle Risikofaktoren.
Ein effektives Compliance-System erkennt Risiken nicht erst im Nachhinein, sondern bereits bei der Planung – etwa bei der Beauftragung freier Mitarbeit oder bei der Organisation von Projektabläufen.
Klare Zuständigkeiten und interne Meldewege
Ein häufiges Problem in der Unternehmenspraxis ist die unklare Verantwortlichkeit. Wer ist zuständig für die Prüfung von Verträgen? Wer bewertet, ob eine freie Mitarbeit rechtssicher ist? Wer veranlasst ein Statusfeststellungsverfahren? Um Haftungsrisiken zu minimieren, sollten Unternehmen:
eine verantwortliche Person oder Abteilung für externe Beschäftigungsverhältnisse benennen,
feste Meldewege bei Unsicherheiten etablieren,
Entscheidungsprozesse dokumentieren und nachvollziehbar gestalten,
sowie eine offene Unternehmenskultur fördern, in der mögliche Verstöße frühzeitig angesprochen werden können – auch anonym.
Ein schriftlich fixiertes Compliance-Konzept oder eine betriebsinterne Richtlinie trägt dazu bei, den Umgang mit freien Mitarbeitenden verlässlich und nachvollziehbar zu regeln.
Schulung als präventives Steuerungsinstrument
Viele Fälle von Scheinselbstständigkeit entstehen nicht durch bewusste Täuschung, sondern durch fehlendes Wissen oder fehlerhafte Annahmen. Projektleitungen oder Personalabteilungen sind sich oftmals nicht bewusst, dass bestimmte Vorgaben – etwa zur Arbeitszeit, zur Nutzung unternehmenseigener Software oder zur Pflicht zur Anwesenheit – eine Eingliederung im Sinne des Sozialversicherungsrechts darstellen können.
Gezielte Schulungen sind daher ein wirkungsvolles Mittel zur Prävention. Empfehlenswert sind:
interne Workshops zu typischen Abgrenzungskriterien zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung,
E-Learning-Module für Führungskräfte, Projektverantwortliche und die Personalabteilung,
regelmäßige Auffrischungsschulungen, insbesondere bei Gesetzesänderungen oder nach Prüffeststellungen,
praxisnahe Fallbeispiele aus der eigenen Branche.
Der Aufbau eines unternehmensweiten Schulungskonzepts trägt dazu bei, Verantwortlichkeiten zu stärken und Handlungssicherheit zu schaffen.
Dokumentation als Nachweisstrategie
Im Streitfall – sei es bei einer Betriebsprüfung, im Rahmen eines Statusverfahrens oder bei gerichtlicher Auseinandersetzung – zählt nicht, was ursprünglich beabsichtigt war, sondern was nachweislich dokumentiert wurde. Unternehmen sollten deshalb darauf achten, relevante Unterlagen vollständig, systematisch und nachvollziehbar aufzubewahren. Dazu gehören unter anderem:
sämtliche Vertragsunterlagen und Vereinbarungen,
Kommunikationsdokumente zur Projektvergabe und -durchführung,
Nachweise über die unternehmerische Eigenständigkeit der beauftragten Person,
Belege über externe Auftraggeber:innen oder eigene Betriebsmittel,
sowie Ergebnisse aus etwaigen Statusfeststellungsverfahren.
Eine strukturierte Dokumentation kann nicht nur im Streitfall entlasten, sondern erhöht auch die interne Steuerungsfähigkeit.
Externe Mitarbeitende in die Compliance-Kultur einbeziehen
Ein transparentes und verlässliches Miteinander ist auch bei freier Mitarbeit ein zentraler Erfolgsfaktor. Unternehmen sollten externe Auftragnehmende aktiv in ihre Compliance-Kultur einbinden – etwa durch:
Übergabe einer kurzen Informationsbroschüre zum Umgang mit externer Leistung,
schriftliche Hinweise zu Rechten und Pflichten im Rahmen der Zusammenarbeit,
klare Kommunikationswege für Rückfragen und Hinweise,
Ansprechpersonen bei organisatorischen oder rechtlichen Unsicherheiten.
Dieses Vorgehen stärkt die vertrauensvolle Zusammenarbeit und signalisiert, dass rechtssicheres Handeln keine Einbahnstraße ist, sondern eine gemeinsame Verantwortung.
Regelmäßige Risikoanalysen durchführen
Ein professionelles Compliance-Management umfasst auch die regelmäßige Prüfung der eingesetzten Vertragsmodelle, Prozessabläufe und Einzelfälle. Sinnvolle Fragen lauten etwa:
Gibt es wiederkehrende Auftragnehmende mit langer Bindung?
Werden Leistungen erbracht, die typischerweise weisungsgebunden sind?
Existieren interne Regelungen zur freien Mitarbeit – und werden sie eingehalten?
Wurden bereits Statusverfahren eingeleitet oder Betriebsprüfungen durchgeführt?
Idealerweise werden solche Prüfungen in Form strukturierter Risikoanalysen durchgeführt – z. B. durch interne Revision, externe Kanzleien oder zertifizierte Fachkräfte.
Rechtskonformität als Ausdruck professioneller Unternehmenskultur
Ein wirksames System aus Compliance, Schulung und Dokumentation ist kein formaler Selbstzweck – sondern Ausdruck moderner, verantwortungsvoller Unternehmensführung. Wer auf diese Weise arbeitet, signalisiert Verlässlichkeit gegenüber Auftraggeber:innen, Behörden, externen Fachkräften und nicht zuletzt den eigenen Teams.
Gerne unterstütze ich Sie dabei, eine rechtssichere und praxisnahe Struktur zur Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitenden aufzubauen – individuell, lösungsorientiert und auf Ihren Unternehmensalltag abgestimmt.
15. Checklisten und Prüfsysteme – Prävention in der Praxis
Die Feststellung einer Scheinselbstständigkeit kann Unternehmen teuer zu stehen kommen – finanziell, rechtlich und reputativ. Umso wichtiger ist es, bereits vor Vertragsabschluss klare Strukturen und Entscheidungshilfen zu etablieren. Gut durchdachte Checklisten, digitale Prüfsysteme und interne Richtlinien helfen dabei, Risiken frühzeitig zu erkennen und rechtssicher zu handeln. Dieses Kapitel zeigt Ihnen praxisnahe Ansätze zur Prävention – von der Erstprüfung bis zur laufenden Überwachung bestehender Vertragsverhältnisse.
Warum Checklisten ein unverzichtbares Werkzeug sind
Checklisten sind kein Ersatz für rechtliche Beratung, aber ein wertvolles Hilfsmittel zur systematischen Erstbewertung. Sie helfen dabei, typische Risikofaktoren sichtbar zu machen, Verantwortlichkeiten zu strukturieren und Nachweispflichten zu erfüllen.
Ein gut gestalteter Fragenkatalog kann bereits im Vorfeld einer Zusammenarbeit potenzielle Scheinselbstständigkeit aufdecken – bevor es zu finanziellen oder strafrechtlichen Konsequenzen kommt.
Beispielhafte Prüffragen zur Vorab-Einschätzung
Eine interne Checkliste zur Prüfung freier Mitarbeit kann u. a. folgende Fragen enthalten:
Erfolgt die Leistungserbringung in eigener Verantwortung, ohne Weisungen zur Arbeitsweise?
Besteht eine freie Zeiteinteilung – oder gibt es feste Arbeitszeiten oder Präsenzpflichten?
Nutzt die externe Person eigene Arbeitsmittel, Infrastruktur und Software?
Gibt es weitere Auftraggeber:innen oder wird ausschließlich für ein Unternehmen gearbeitet?
Besteht die Möglichkeit zur Vertretung durch Dritte?
Werden eigene AGB oder ein Impressum geführt?
Wird die Tätigkeit im eigenen Namen und auf eigenes Risiko angeboten?
Handelt es sich um ein konkret abgrenzbares Projekt mit eindeutigem Leistungsziel?
Werden mehrere dieser Fragen mit „Nein“ beantwortet, liegt ein erhöhtes Risiko einer Scheinselbstständigkeit vor – und es empfiehlt sich eine vertiefte Prüfung oder ein Statusfeststellungsverfahren.
Interne Prüfsysteme und Vertragsdatenbanken
Neben klassischen Checklisten setzen viele Unternehmen auf digitale Prüfsysteme, um bei der Beauftragung freier Mitarbeit strukturierte Entscheidungen zu treffen. Diese Systeme können:
Eingabemasken mit Abfragemodulen (z. B. Ampelsysteme) bereitstellen,
frühzeitig Warnhinweise bei kritischen Konstellationen ausgeben,
standardisierte Vertragsvorlagen mit automatischer Risikobewertung kombinieren,
eine vollständige Verlaufsdokumentation speichern,
bei Unsicherheiten automatisiert einen internen Prüfprozess auslösen.
Zusätzlich empfiehlt sich der Einsatz einer Vertragsdatenbank, die alle Verträge mit externen Personen systematisch erfasst – inklusive Vertragsdauer, Honorarhöhe, Ansprechpartner:in, Prüfergebnis und Statusprüfung.
Einbindung der Fachabteilungen in die Risikoprävention
Prävention ist nicht allein Aufgabe der Personal- oder Rechtsabteilung. Auch Projektleitungen, Fachverantwortliche und Führungskräfte müssen geschult und sensibilisiert werden, um bei der Beauftragung freier Mitarbeit Risiken zu erkennen. Dazu gehört:
die Anwendung von internen Leitfäden und Checklisten,
regelmäßige Rückmeldungen zur Vertragspraxis,
frühzeitige Einbindung der Rechtsabteilung bei Sonderfällen,
Meldung potenziell kritischer Einzelfälle zur Nachprüfung.
Ein unternehmensweites Bewusstsein für die Problematik ist oft der effektivste Schutz vor Fehlentwicklungen.
Implementierung eines Compliance-gesteuerten Genehmigungsprozesses
Eine wirksame Präventionsstrategie beinhaltet die Einführung eines mehrstufigen Prüf- und Genehmigungsprozesses, bevor ein Vertrag mit externen Personen zustande kommt. Dieser kann folgende Elemente enthalten:
Selbstauskunft der freien Mitarbeitenden zur Tätigkeit, den Auftraggeber:innen und der Arbeitsweise.
Interne Checkliste mit Ampelbewertung zur Einschätzung des Beschäftigungsrisikos.
Freigabe durch die Personal- oder Rechtsabteilung bei unkritischer Bewertung.
Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens, wenn Zweifel bestehen.
Vertragsabschluss erst nach positiver Bewertung oder Entscheidung der Clearingstelle.
Ein solcher Prozess lässt sich digital unterstützen und erhöht nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen.
Praxisbeispiel: Risikobewertung anhand eines Kriterienkatalogs
Ein mittelständisches Unternehmen der Medienbranche arbeitet regelmäßig mit externen Redakteur:innen und Grafikdesigner:innen zusammen. Zur Vermeidung von Scheinselbstständigkeit wurde ein interner Kriterienkatalog eingeführt, der jede neue Beauftragung auf folgende Aspekte prüft:
Projektlaufzeit über sechs Monate → gelb
Nutzung von Unternehmenssoftware → gelb
Einbindung in Redaktionskonferenzen → rot
Eigene Website mit Impressum vorhanden → grün
Rechnungsstellung pro Projekt → grün
Nur bei einer „grünen Gesamtbewertung“ erfolgt der Vertragsabschluss direkt. In allen anderen Fällen wird die Rechtsabteilung automatisch eingebunden. Das Ergebnis: keine Rückforderungen bei Betriebsprüfungen – und hohe Rechtssicherheit.
Praktische Umsetzung für kleine und mittlere Unternehmen
Auch KMU können ohne großen Aufwand präventive Maßnahmen ergreifen. Ein einfacher Einstieg besteht in:
der Einführung einer standardisierten Kurzcheckliste,
dem Einsatz eines Verantwortlichkeitsformulars (z. B. zur Selbstauskunft),
der Schulung der Projektleitungen in 30-Minuten-Workshops,
der regelmäßigen Rückschau auf bereits abgeschlossene Verträge.
Die Dokumentation kann dabei einfach in einem Ordnersystem mit Versionsverwaltung erfolgen – auch ohne komplexe Software.
Starke Prozesse, geringe Risiken
Checklisten und Prüfsysteme sind nicht nur Kontrollinstrumente – sie sind Ausdruck unternehmerischer Sorgfalt und strategischer Voraussicht. Wer klare Strukturen etabliert, reduziert nicht nur Haftungsrisiken, sondern gewinnt Handlungssicherheit, Planbarkeit und das Vertrauen externer Fachkräfte. Gerne unterstütze ich Sie dabei, ein maßgeschneidertes Prüfkonzept für Ihre Branche zu entwickeln – praxistauglich, rechtssicher und ressourcenschonend.
16. Auswirkungen auf die Unternehmensreputation und das Personalmarketing
Scheinselbstständigkeit ist längst kein rein rechtliches oder betriebswirtschaftliches Thema mehr – sie kann zum Reputationsrisiko werden und das Personalmarketing erheblich beeinträchtigen. Wer im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung, unklaren Vertragsverhältnissen oder nachträglichen Rückforderungen auffällt, muss nicht nur mit juristischen Konsequenzen rechnen, sondern auch mit einem nachhaltigen Vertrauensverlust. Unternehmen, die langfristig erfolgreich am Markt bestehen wollen, sollten sich der kommunikativen und strategischen Tragweite bewusst sein.
Reputationsrisiken in der öffentlichen Wahrnehmung
Die öffentliche Diskussion um prekäre Arbeitsverhältnisse, Plattformarbeit oder Honorarkräfte in sozialen und kreativen Berufen hat das Bewusstsein für faire Beschäftigungsformen geschärft. Unternehmen, die durch Betriebsprüfungen, Medienberichte oder Rechtsstreitigkeiten in Verbindung mit Scheinselbstständigkeit geraten, geraten schnell unter öffentlichen Druck.
Besonders kritisch ist dies in folgenden Konstellationen:
Beschäftigung von Honorarkräften im Gesundheits-, Bildungs- oder Pflegebereich,
Nutzung externer Fachkräfte mit faktischer Eingliederung in operative Abläufe,
Rückforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen oder Steuerbehörden,
öffentlich geführte Arbeitsrechtsprozesse.
Solche Fälle können schnell zu negativen Presseberichten, Social-Media-Shitstorms oder Imageverlusten führen – mit Folgen für Kund:innenbindung, Investor Relations und Geschäftspartnerschaften.
Auswirkungen auf das Personalmarketing
In Zeiten des Fachkräftemangels ist das Personalmarketing ein entscheidender Erfolgsfaktor. Unternehmen, die auf freie Mitarbeit setzen, müssen dabei ein hohes Maß an Transparenz und Rechtsklarheit bieten. Folgende Aspekte beeinflussen die Wahrnehmung bei potenziellen Bewerber:innen und Auftragnehmer:innen:
Wird freie Mitarbeit als Chance zur Selbstverwirklichung oder als Mittel zur Umgehung von Sozialabgaben wahrgenommen?
Gibt es transparente Informationen zur Zusammenarbeit – etwa zu Vergütung, Arbeitsweise, Auftragsstruktur und Dauer?
Werden Auftragnehmende als Partner:innen behandelt – oder als billige Ersatzkräfte ohne Schutzrechte?
Insbesondere junge Fachkräfte, Freelancer:innen und hochqualifizierte Soloselbstständige legen großen Wert auf Verlässlichkeit, Fairness und Professionalität. Ein Unternehmen, das hier Schwächen zeigt, verliert an Attraktivität – nicht nur gegenüber Angestellten, sondern auch im freien Projektmarkt.
‚Employer Branding‘ durch rechtskonforme Zusammenarbeit
Ein professioneller Umgang mit freien Mitarbeitenden kann aktiv zur Stärkung der Arbeitgebermarke beitragen. Unternehmen, die sich klar zu rechtskonformer Zusammenarbeit bekennen und dies auch nachweislich umsetzen, senden ein positives Signal aus – intern wie extern. Das gelingt durch:
klare Aussagen zur Rolle freier Mitarbeit in der Unternehmenskultur,
verständliche Informationsmaterialien für externe Fachkräfte,
transparente Verträge und kooperative Kommunikation,
Einbindung in strukturierte Feedbackprozesse,
ggf. öffentliche Leitlinien zur fairen Projektvergabe.
Besonders wirkungsvoll ist es, Best-Practice-Beispiele aus dem eigenen Unternehmen zu kommunizieren – etwa auf Karriereseiten, in Newslettern oder bei Branchenveranstaltungen.
Vermeidung negativer Signalwirkungen
Ein unterschätzter Effekt ist die Demotivation interner Mitarbeitender, wenn externe Kräfte unter fragwürdigen Bedingungen tätig sind – sei es mit höherem Honorar, ohne Integration oder bei deutlich flexibleren Arbeitsbedingungen. Diese Ungleichbehandlung kann das Betriebsklima beeinträchtigen, Loyalität verringern und die Fluktuation erhöhen.
Zudem entstehen interne Spannungen, wenn beispielsweise:
Teamleitungen die Arbeitsweise von freien Mitarbeitenden nicht beurteilen dürfen,
Honorarvereinbarungen nicht nachvollziehbar sind,
unklare Zuständigkeiten für Vertragsverhandlungen bestehen.
Ein offener, rechtssicherer und nachvollziehbarer Umgang mit externen Kräften ist daher auch Teil einer funktionierenden internen Kommunikation.
Soziale Verantwortung und Corporate Social Responsibility (CSR)
Gerade größere Unternehmen stehen zunehmend unter Beobachtung hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Dazu gehört auch, wie mit freien Mitarbeitenden, Solo-Selbstständigen und projektbasierten Kräften umgegangen wird.
Scheinselbstständigkeit steht im Widerspruch zu den Grundsätzen einer fairen, nachhaltigen und verantwortungsbewussten Unternehmensführung. Wer glaubwürdig CSR betreiben will, muss bei der Vergabe von Aufträgen, in der Vertragsgestaltung und bei der Prüfung der Beschäftigungsform besonders sorgfältig agieren.
Handlungsempfehlung für Unternehmen mit externen Projektstrukturen
Entwickeln Sie eine Leitlinie für externe Zusammenarbeit, die auch öffentlich kommuniziert werden kann.
Schulen Sie HR, Projektleitungen und Führungskräfte im Umgang mit freien Mitarbeitenden.
Prüfen Sie regelmäßig bestehende Vertragsverhältnisse auf Integrität und Nachvollziehbarkeit.
Binden Sie externe Fachkräfte in das Qualitätsmanagement und Feedbackprozesse ein.
Nutzen Sie positive Beispiele in Ihrer Außendarstellung – etwa auf Ihrer Karriereseite oder in Bewerbungsgesprächen.
Eine glaubwürdige Unternehmensmarke braucht rechtliche Klarheit
Reputation ist ein langfristiges Gut – und kein Zufallsprodukt. Wer professionell, fair und rechtssicher mit freien Mitarbeitenden umgeht, stärkt nicht nur die eigene Marktposition, sondern auch die emotionale Bindung zu externen und internen Zielgruppen. Die Einhaltung arbeits- und sozialrechtlicher Regeln ist dabei nicht nur Pflicht, sondern ein strategischer Vorteil im Wettbewerb um Vertrauen, Aufträge und Talente.
17. Ausblick – Gesetzesänderungen, BMF-Schreiben, politische Debatten
Die rechtliche Einordnung von Selbstständigkeit und Beschäftigung ist seit Jahren Gegenstand intensiver Diskussionen – in Politik, Rechtsprechung, Fachliteratur und Unternehmenspraxis. Mit der Digitalisierung, der Plattformökonomie und dem Wandel in der Arbeitswelt steigen die Anforderungen an eine klare, moderne und praktikable Regulierung. Dieses Kapitel gibt Ihnen einen Ausblick auf aktuelle Gesetzesinitiativen, geplante Reformen, administrative Stellungnahmen und gesellschaftspolitische Entwicklungen, die künftig Einfluss auf die Bewertung von Scheinselbstständigkeit haben könnten.
Aktuelle Gesetzesinitiativen auf Bundesebene
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde bereits 2021 angekündigt, die Kriterien zur Abgrenzung von Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung zu überarbeiten. Ziel ist ein klareres, verständlicheres Regelwerk, das sowohl die berechtigten Interessen von Auftraggeber:innen als auch die soziale Absicherung von Auftragnehmenden berücksichtigt.
Diskutiert werden unter anderem:
die Einführung einer gesetzlichen Positivliste für typische freie Berufe,
die Klarstellung von Kriterien wie „wirtschaftliche Unabhängigkeit“ oder „Weisungsfreiheit“,
eine Verkürzung von Statusprüfungsverfahren durch die Rentenversicherung,
die stärkere Einbindung von Berufsverbänden in Zweifelsfragen,
ein Übergangsmodell bei Rückumqualifizierung (z. B. rückwirkende Absicherung ohne Strafzahlungen).
Noch liegt kein konkreter Gesetzesentwurf vor, doch ein entsprechendes Referentenpapier wird erwartet.
Entwicklungen im Rahmen von Plattformarbeit
Ein zentrales Reformfeld ist die sogenannte Plattformökonomie. Fahrer:innen, Lieferdienste, digitale Assistenzdienste oder Content-Erstellende arbeiten oft scheinbar selbstständig – sind aber tatsächlich eng in die Infrastruktur, Vorgaben und Leistungsbeurteilung ihrer Plattform eingebunden.
Die EU-Kommission hat 2023 eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeitenden auf den Weg gebracht. Diese sieht unter anderem vor:
eine Beweislastumkehr: Plattformen müssen nachweisen, dass keine Beschäftigung vorliegt,
einen besseren Zugang zu Sozialversicherungssystemen,
klare Transparenzregeln zur Leistungsbewertung und algorithmischen Steuerung.
Diese Regelungen werden voraussichtlich in nationales Recht umgesetzt – mit erheblichem Einfluss auch auf andere Formen projektbasierter Zusammenarbeit.
Bedeutung aktueller BMF-Schreiben und Verwaltungsanweisungen
Auch die Finanzverwaltung äußert sich regelmäßig zur rechtlichen Einordnung von Selbstständigkeit – vor allem im Bereich der Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Lohnsteuer. Wichtige Hinweise ergeben sich aus:
BMF-Schreiben zur steuerlichen Anerkennung freier Berufe,
Verwaltungsanweisungen zur Lohnsteuerpflicht bei rückwirkender Umqualifizierung,
Prüfhinweisen für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS).
Ein zentrales Anliegen bleibt die Abstimmung zwischen Sozialrecht und Steuerrecht. Während die Deutsche Rentenversicherung einen Fall als Scheinselbstständigkeit beurteilen kann, stuft das Finanzamt denselben Sachverhalt möglicherweise steuerlich als Unternehmertum ein. Diese Diskrepanzen sollen künftig verringert werden – z. B. durch abgestimmte Prüfsysteme und einheitliche Feststellungen mit Bindungswirkung.
Tendenzen in der Rechtsprechung
Auch Gerichte beschäftigen sich regelmäßig mit Einzelfällen zur Abgrenzung freier Mitarbeit von abhängiger Beschäftigung. Auffällig ist dabei:
eine zunehmende Einzelfallbetrachtung statt starrer Kriterienkataloge,
die Betonung der gelebten Praxis vor vertraglichen Regelungen,
die Risikoverteilung zwischen Auftraggeber:innen und Auftragnehmenden als zentrales Kriterium,
die Feststellung, dass selbst Freiberufler:innen bei faktischer Eingliederung in Betriebsabläufe als Beschäftigte gelten können (vgl. BSG, Urteil v. 31.3.2022 – B 12 R 15/20 R).
Diese Tendenz deutet auf eine Stärkung der tatsächlichen Verhältnisse hin – mit entsprechender Bedeutung für die Vertragsgestaltung, Schulung und Compliance in der Unternehmenspraxis.
Gesellschaftlicher und medialer Druck auf Unternehmen
Zunehmend spielt auch der öffentliche Diskurs eine Rolle: NGOs, Berufsverbände, Medien und Plattformnutzer:innen diskutieren die Rolle freier Mitarbeit kritisch – besonders in prekären Beschäftigungsfeldern wie Kultur, Pflege, Bildung oder Medien. Der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit wird dabei schnell zum Symbol für soziale Kälte, Gewinnmaximierung oder Gesetzesumgehung.
Unternehmen, die auf flexible Projektarbeit setzen, müssen sich deshalb auf gesellschaftliche Erwartungen an Transparenz, Fairness und Absicherung einstellen. Dies gilt insbesondere für Auftraggeber:innen aus dem öffentlichen Sektor, der Kreativwirtschaft oder dem Gesundheitswesen.
Was Unternehmen künftig erwartet – und wie sie reagieren können
Die absehbaren Entwicklungen zeigen: Das Thema Scheinselbstständigkeit wird rechtlich komplexer, öffentlich sensibler und operativ anspruchsvoller. Unternehmen sollten daher:
bestehende Vertragsstrukturen regelmäßig überprüfen,
ihre Compliance-Prozesse an neue Regelungen anpassen,
Veränderungen im Sozial- und Steuerrecht aktiv beobachten,
digitale Prüftools und Datenbanken einsetzen,
Statusfeststellungsverfahren frühzeitig beantragen,
externe Beratung zur Risikoeinschätzung und Strategieentwicklung nutzen.
Je eher sich Unternehmen auf kommende Änderungen vorbereiten, desto besser lassen sich rechtliche Risiken minimieren und Gestaltungschancen nutzen.
Ausblick: Selbstständigkeit braucht moderne Regeln – und klare Praxis
Die Welt der Arbeit verändert sich – und mit ihr die Anforderungen an Rechtssicherheit, Fairness und Flexibilität. Ob Solo-Selbstständige, Plattformarbeitende oder freie Projektkräfte: Sie alle brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, die klare Kriterien mit wirtschaftlicher Realität in Einklang bringen.
Für Unternehmen bietet dies die Chance, sich als verantwortungsbewusste und zukunftsfähige Auftraggeber:innen zu positionieren – mit klaren Prozessen, rechtssicheren Verträgen und einer Kultur der Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Quellenverzeichnis
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BSG – Bundessozialgericht (2022): Urteil vom 28.06.2022 – B 12 R 4/20 R. Online verfügbar unter: https://www.bsg.bund.de [Zugriff: 12. Juli 2025].
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Finanzgericht Köln (2021): Urteil vom 22.07.2021 – 14 K 1982/19. Online verfügbar unter: https://www.justiz.nrw.de[Zugriff: 12. Juli 2025].
Heinrich-Böll-Stiftung (2023): Scheinselbstständigkeit in der Plattformökonomie. Berlin. Online verfügbar unter: https://www.boell.de [Zugriff: 12. Juli 2025].
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (2022): Solo-Selbstständigkeit in Deutschland – Struktur, Dynamik, Risiken. Nürnberg. Online verfügbar unter: https://www.iab.de [Zugriff: 12. Juli 2025].
Kammer der Steuerberater:innen (2024): Hinweise zur Vertragsgestaltung mit freien Mitarbeitenden. Online verfügbar unter: https://www.bstbk.de [Zugriff: 12. Juli 2025].
Riechert, W. / Engels, M. (2022): Scheinselbstständigkeit – Risiken, Vermeidung, Compliance. 4. Aufl. München: C.H. Beck.
Schlegel, R. / Krahmer, M. (2023): „Statusfeststellung und freie Mitarbeit – Herausforderungen in der digitalen Arbeitswelt“, in: NJW, Heft 12/2023, S. 751–756.
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags (2023): WD 6 – 3000 – 101/23: Scheinselbstständigkeit im Sozialrecht – Rechtsprechung und Reformvorschläge. Berlin. Online verfügbar unter: https://www.bundestag.de/wissenschaftliche-dienste/ [Zugriff: 12. Juli 2025].
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Scheinselbstständigkeit ist eines der rechtlich sensibelsten Themen im deutschen Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Sie betrifft besonders Branchen mit projektbezogener Zusammenarbeit, etwa IT, Medien, Gesundheitswesen oder Consulting. Der Begriff beschreibt Fälle, in denen eine Person zwar formal als Selbstständige:r tätig ist, aber tatsächlich wie ein:e Arbeitnehmer:in in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingebunden ist. Das hat weitreichende Folgen – sowohl für die betroffene Person als auch für das beauftragende Unternehmen.
Keine gesetzliche Definition – aber klare Kriterien
Der Begriff „Scheinselbstständigkeit“ ist gesetzlich nicht exakt definiert. Dennoch gibt es klare rechtliche Maßstäbe: Nach § 7 Abs. 1 SGB IV liegt eine Beschäftigung vor, wenn sie durch „nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ gekennzeichnet ist. Entscheidend sind dabei vor allem:
Weisungsgebundenheit: Die Person folgt Vorgaben zu Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit.
Eingliederung: Die Tätigkeit ist organisatorisch in den Betrieb eingebettet.
Fehlendes unternehmerisches Risiko: Die Vergütung erfolgt unabhängig vom Erfolg, es bestehen keine eigenen Betriebsmittel.
All diese Merkmale sprechen eher für eine abhängige Beschäftigung – auch dann, wenn der Vertrag das Gegenteil behauptet.
Steuerrechtliche Einordnung: Arbeitslohn statt Honorar
Auch im Steuerrecht hat Scheinselbstständigkeit erhebliche Konsequenzen. Nach § 19 EStG gelten Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit als Arbeitslohn – mit der Folge, dass der Auftraggeber rückwirkend zur Abführung von Lohnsteuer verpflichtet wird. Die Finanzverwaltung kann zusätzlich Säumniszuschläge, Zinsen und sogar Strafzahlungen fordern, wenn eine unzulässige Vertragsgestaltung festgestellt wird.
Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit – eine Grauzone
Ein besonderes Risiko liegt im Bereich der sogenannten arbeitnehmerähnlichen Selbstständigkeit. Diese Konstellation betrifft z. B. Soloselbstständige, die regelmäßig für nur einen Auftraggeber arbeiten, kein unternehmerisches Risiko tragen und keine eigenen Mitarbeitenden beschäftigen. Auch wenn formal keine abhängige Beschäftigung vorliegt, können hier sozialversicherungsrechtliche Pflichten bestehen – etwa eine Rentenversicherungspflicht nach § 2 SGB VI.
Rechtsprechung: Entscheidend ist die gelebte Praxis
Die Gerichte – insbesondere das Bundessozialgericht (BSG) – stellen bei der Abgrenzung konsequent auf die tatsächliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ab. Entscheidend ist also nicht die Bezeichnung im Vertrag, sondern wie die Zusammenarbeit im Alltag gelebt wird. Dabei gelten folgende Leitsätze:
Vertragliche Formulierungen haben nur begrenzten Beweiswert.
Einzelne Indizien (z. B. Arbeitszeiten, Meldepflichten, Nutzung betrieblicher Infrastruktur) reichen bei Häufung aus, um auf Scheinselbstständigkeit zu schließen.
Auch hochqualifizierte Fachkräfte (z. B. IT-Berater:innen) sind nicht automatisch als Selbstständige anzusehen, wenn sie vollständig in betriebliche Abläufe eingebunden sind (BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 12 R 4/20 R).
Typische Konstellationen in der Praxis
Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Problematik:
Ein freier Texter arbeitet über Jahre hinweg ausschließlich für einen Verlag, hat feste Abgabetermine, nutzt das Redaktionssystem und erhält regelmäßig redaktionelles Feedback. Trotz vertraglicher „freier Mitarbeit“ könnte hier eine abhängige Beschäftigung vorliegen.
Eine Honorarärztin arbeitet im Dienstplan eines Krankenhauses mit, übernimmt Schichten und nutzt die Ausstattung der Klinik. Hier wurde vom BSG in mehreren Urteilen (z. B. B 12 R 11/18 R) die Scheinselbstständigkeit bejaht.
Abgrenzung ist rechtlich und wirtschaftlich entscheidend
Die folgenreiche Unterscheidung zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung entscheidet über:
die Sozialversicherungspflicht (Krankenkasse, Rentenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung),
die steuerliche Behandlung (Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Lohnsteuer),
die Haftung des Auftraggebers – insbesondere bei Rückforderungen und Betriebsprüfungen,
die strafrechtliche Relevanz (§ 266a StGB – Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen).
Ein einzelner Fehler kann zu fünf- bis sechsstelligen Rückforderungen führen – besonders kritisch für kleine und mittlere Unternehmen.
Ziel: Rechtssicherheit durch Klarheit und Prävention
Wer auf freie Mitarbeit setzt, sollte von Beginn an auf saubere Strukturen achten: klare Verträge, regelmäßige Prüfungen, und im Zweifel ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV. Dies bietet Schutz für beide Seiten – und stärkt die unternehmerische Glaubwürdigkeit.
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Die Debatte um Scheinselbstständigkeit ist kein neues Phänomen. Sie ist vielmehr das Ergebnis eines langjährigen Spannungsfeldes zwischen wirtschaftlicher Flexibilität und sozialer Absicherung. Besonders seit den 1990er-Jahren wurde das Thema in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung immer wieder neu bewertet. Wer die Entwicklung nachvollzieht, erkennt: Die heutigen Regelungen sind Ausdruck zahlreicher Anpassungsversuche – auf einen sich wandelnden Arbeitsmarkt.
Anfänge der Regulierung in den 1990er-Jahren
In den frühen 1990er-Jahren gewann das Thema Scheinselbstständigkeit erstmals politische Bedeutung – vor allem durch das massive Anwachsen von Projektarbeit, Outsourcing und Solo-Selbstständigkeit. In der Folge erließ der Gesetzgeber 1999 im Rahmen des sogenannten „Beschäftigungsförderungsgesetzes“ eine erste gesetzlich verankerte Definition von Scheinselbstständigkeit. Damit verbunden war das Ziel, missbräuchliche Vertragskonstruktionen zu unterbinden und die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme zu sichern (Lörcher 2023).
Erste gesetzliche Kriterien und große Unsicherheit
Kernstück der damaligen Reform war eine Negativliste, mit der typische Merkmale einer abhängigen Beschäftigung benannt wurden – z. B.:
Nur ein Auftraggeber über längere Zeit,
Kein eigenes unternehmerisches Risiko,
Keine eigenen Mitarbeiter:innen,
Tätigkeit vor Ort im Betrieb des Auftraggebers.
Diese Kriterien waren rechtlich umstritten und wurden nach wenigen Jahren wieder abgeschwächt. Dennoch markierten sie den Beginn einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Agenda 2010 und neue Versichertengruppen
Im Jahr 2003 wurde im Rahmen der Agenda 2010 eine Pflichtversicherung für bestimmte Selbstständige eingeführt – etwa für Lehrkräfte, Pflegekräfte oder Hebammen, sofern sie keine eigenen Angestellten beschäftigten. Grundlage hierfür ist bis heute § 2 SGB VI, der bestimmte Berufsgruppen automatisch der gesetzlichen Rentenversicherung unterstellt. Damit wurde erstmals ein Zwischentyp zwischen abhängiger Beschäftigung und unternehmerischer Selbstständigkeit gesetzlich verankert.
Modernisierung des Statusfeststellungsverfahrens
Einen weiteren Reformschritt stellte die Überarbeitung des Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV dar. Die Reform von 2009 führte zu einer Strukturierung des Verfahrens, einer zentralen Clearingstelle bei der Deutschen Rentenversicherung und mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Auftraggeber:innen und Auftragnehmer:innen. Seither kann der sozialversicherungsrechtliche Status vorab verbindlich geprüft werden, was die Rechtssicherheit erhöht – sofern das Verfahren korrekt und vollständig durchgeführt wird.
Erneuter Aufschwung durch Plattformökonomie
Mit dem Siegeszug der digitalen Plattformen (z. B. Lieferdienste, Online-Marktplätze, Kreativportale) hat die Frage nach dem Beschäftigungsstatus eine neue Brisanz erlangt. Plattformarbeiter:innen sind formal oft selbstständig – de facto aber vielfach in Systemen mit hoher Fremdbestimmung und wirtschaftlicher Abhängigkeit eingebunden. Dieses Spannungsfeld hat zu neuen politischen Forderungen nach Schutzstandards und Prüfpflichten geführt – auf nationaler wie europäischer Ebene.
Koalitionsvertrag 2021 und laufende Gesetzesvorhaben
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung (2021–2025) ist die Modernisierung des Statusrechts ausdrücklich vorgesehen. Angestrebt werden:
Beschleunigte Verfahren,
Digitalisierung der Antragsprozesse,
Bessere Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen,
Klare Definitionen von selbstständiger und abhängiger Tätigkeit.
Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird seit 2023 im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorbereitet. Verbände, Sozialversicherungsträger und Wirtschaftskammern sind an den Beratungen beteiligt.
Europarechtliche Vorgaben: Plattformrichtlinie in Vorbereitung
Auf EU-Ebene arbeitet die Kommission an einer Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit. Ein zentraler Vorschlag ist die Vermutung eines Arbeitsverhältnisses, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind – etwa algorithmische Steuerung, Bewertungssysteme, fehlende Preisverhandlung oder Exklusivität. Sollte diese Richtlinie in Kraft treten, muss Deutschland seine nationalen Regelungen anpassen – mit direkten Auswirkungen auf viele grenzwertige Selbstständigkeitsmodelle.
Reaktionen aus Wissenschaft und Berufsverbänden
Die Fachliteratur diskutiert seit Jahren, wie ein praktikabler und rechtssicherer Selbstständigkeitsbegriff aussehen kann. Jurist:innen wie Kreft (2024) oder Lörcher (2023) sprechen sich für eine differenziertere Betrachtung aus – insbesondere für die Anerkennung von Mischformen (z. B. projektbasiertes Arbeiten mit begrenzter Eingliederung). Gleichzeitig warnen viele Stimmen vor einer Aushöhlung des Sozialversicherungsschutzes, wenn wirtschaftlich abhängige Tätigkeiten als formal selbstständig gelten.
Dauerbrenner mit Reformbedarf
Die bisherige Entwicklung zeigt: Die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung bleibt ein politischer Dauerbrenner. Mit jeder neuen Arbeitsform entstehen neue Grauzonen, die durch veraltete Kriterien nur schwer zu greifen sind. Unternehmen sind gut beraten, gesetzliche Reformen frühzeitig zu beobachten und ihre internen Prozesse rechtzeitig anzupassen – etwa durch Schulungen, Vertragsprüfungen oder eine engere Zusammenarbeit mit Steuer- und Rechtsberatung.
Weichenstellung für die Zukunft
Wer heute rechtssicher arbeiten will, muss nicht nur die aktuelle Rechtslage verstehen – sondern auch wissen, wohin sich der Markt und die Gesetzgebung entwickeln. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein für die Frage, ob die Sozialversicherungsordnung mit der modernen Arbeitswelt Schritt halten kann. Für Unternehmen, die auf freie Mitarbeit setzen, bedeutet das: Strategisch denken, strukturiert handeln und frühzeitig vorsorgen.
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Das wohl wichtigste Merkmal für die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Betriebsprüfung ist die Zugehörigkeit des Betriebes zu einer von der Finanzverwaltung bestimmten Größenklasse.
Für den 24. Prüfungsturnus ab dem 1. Januar 2024 gelten die folgenden Abgrenzungsmerkmale.
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Die Finanzbehörden sowie auch sonstige Körperschaften wie zum Beispiel die Deutsche Rentenversicherung (Prüfung nach § 28 p SGB IV), die Zollbehörden u.a. setzen bei ihren Prüfungen im Allgemeinen Prüfungsschwerpunkte. Um diesen zu entsprechen, sind die anordnenden Behörden und Körperschaften befugt, aus mehreren Arten von Betriebsprüfungen auszuwählen.
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Ganz unabhängig von den Größenklasseneinordnungen und den sich daraus ergebenden routinemäßigen Prüfungsanlässen finden Betriebsprüfungen auch aus den folgenden Gesichtspunkten statt:
• Auffälligkeiten:
Die zuständige Sachbearbeitung im Finanzamt hat Zweifel an der Richtigkeit der in der/n Steuererklärungen erklärten Daten oder bestimmte Sachverhalte erweisen sich als so komplex oder sogar so schwierig, dass sie nur vor Ort, d.h. im Unternehmen selbst, beurteilt werden können.
Ganz allgemein sollte aber nach Auffassung der Sachbearbeitung ein konkreter Verdacht bestehen, der eine Betriebsprüfung bzw. eine Außenprüfung rechtfertigt.
Eine Auffälligkeit allein in einem Jahr führt in der Regel nicht gleich zu einer Prüfung des Finanzamtes. Vorsicht ist allerdings bei einer Häufung von Auffälligkeiten geboten.
Hierzu zählen insbesondere:
- Unstimmigkeiten bei Umsatz, Gewinn und Aufwendungen (Kosten)
- Spürbare Abweichungen von den Vorjahreswerten
- Spürbare Abweichungen zu den Richtwerten der Finanzverwaltung für Betriebe gleicher Größe und Branche
- Hohe Nachzahlungen bei vergangenen Betriebsprüfungen
- Nicht zu erklärende Vermögenszuwächse (etwa ohne die dafür notwendigen Umsatzerhöhungen, Einnahmenerhöhungen, Aufwands- bzw. Kostenverminderungen oder Gewinnsteigerungen)
- Nennenswerte Umsatz- oder Gewinnschwankungen
Ganz allgemein wird aber in diesem Zusammenhang auch der Gesamteindruck für die Entscheidung, eine Betriebsprüfung anzuordnen oder nicht, eine große Rolle spielen:
Ordnungsgemäße (und auch ordentliche), leicht auffindbare sowie geordnet sortierte Unterlagen, Belege, Zusammenstellungen und insbesondere auch Hinführungen zu Teil- und Endergebnissen (insbesondere aufgrund der optischen Verfolgbarkeit), am besten noch mit entsprechenden Vorjahresvergleichen versehen, werden die Auffälligkeit eines Betriebes mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Betriebsprüfung ganz sicher nicht erhöhen.
Darüber hinaus sind aber noch weitere Einzelaspekte zu bedenken, die zu Betriebsprüfungen der Finanzämter führen können. An dieser Stelle sei nur auf einige häufig vorkommende Prüfungsanlässe hingewiesen:
- Betriebsprüfung nach der Betriebsaufgabe bzw. nach der Geschäftsaufgabe,
etwa durch schlichte Aufgabe wegen Alter, Krankheit o.ä,
- Betriebsprüfung nach der Umwandlung des Betriebes bzw. des Geschäftes oder der Einbringung in einen anderen Betrieb oder in ein anderes Geschäft
- Betriebsprüfung nach der Aufnahme oder nach dem Ausscheiden von Gesellschaftern
- Betriebsprüfung nach der Veräußerung des Betriebes bzw. des Geschäftes
- Betriebsprüfung im Anschluss an die Gewerbeabmeldung
• Zufallsprinzip:
Einige Betriebe werden per (einfacher oder geschichteter) Zufallsauswahl für eine Betriebsprüfung ausgewählt. Auf diese Weise soll unabhängig von den beschriebenen Abgrenzungsmerkmalen oder von den aufgeführten Auffälligkeiten grundsätzlich jeder Betrieb damit rechnen, von dem Finanzamt geprüft zu werden.
Beispielsweise werden Kleinunternehmen und sog. Solo-Selbständige nach dem Zufallsprinzip ausgewählt; turnusmäßige Prüfungen finden bei diesen Unternehmungen also nicht statt. Dies betrifft jährlich etwa 10 Prozent der in Betracht kommenden Betriebe.
Mein Tipp:
Lesen Sie die die ersten Zeilen in Ihren Steuerbescheiden genau!
Dort finden Sie sehr häufig den Hinweis „… unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO …“ Dies ist oft ein Zeichen dafür, dass die Finanzbehörde eine Betriebsprüfung für die betreffende Steuerart sowie für den betreffenden Veranlagungszeitraum beabsichtigt bzw. grundsätzlich nicht ausschließt.
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Der genaue Ablauf einer Betriebsprüfung variiert im Detail je nach Finanzverwaltung bzw. Finanzamt.
Dennoch sind die folgenden Abläufe typisch:
1. Prüfungsanordnung
Das Finanzamt informiert schriftlich, dass eine Betriebsprüfung stattfinden wird. Diese Prüfungsanordnung enthält in der Regel Informationen über den beabsichtigten Zeitpunkt, die prüfende Person und die Unterlagen, die für die Prüfung benötigt werden. In der Regel soll die Prüfung in den betrieblichen Räumen erfolgen. Tatsächlich findet sie allerdings nicht selten in den Räumen der beauftragten Steuerberatung statt.
2. Prüfungsvorbereitung
Das Unternehmen sollte alle prüfungsrelevanten Unterlagen nochmals kritisch sichten und für die Prüfung vorbereiten, insbesondere zusammenhängend ordnen. Zum Beispiel Jahresabschlüsse, Konten, Kontenzusammenstellungen, sonstige Buchführungsunterlagen (etwa Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Verträge, sonstige Belege, Inventurunterlagen, Geschäftsberichte sowie weitere steuerrelevante Dokumente).
3. Eröffnungsgespräch
Die Betriebsprüfung beginnt mit einem Eröffnungsgespräch zwischen der vertretungsberechtigen Person des Unternehmens und der prüfenden Person. Dabei werden die Ziele der Prüfung besprochen und die prüfende Person kann Fragen zu den Geschäftsaktivitäten, der Buchführung und anderen steuerlich relevanten Themen stellen. Hierfür wird der prüfenden Person in der Regel eine Auskunftsperson benannt, an die sie sich (in der Regel) ausschließlich halten darf. Der Unternehmer bzw. die jeweils Verantwortlichen als Steuerpflichtige/r des Unternehmens stellt/stellen für die prüfende Person darüber hinaus immer Auskunftsperson/en dar.
4. Überprüfung der Unterlagen
Die prüfende Person überprüft die vorbereiteten Unterlagen und prüft die Richtigkeit der Buchführung sowie die Einhaltung der steuerlichen Vorschriften nach ihren Vorgaben sowie nach dem eigenen pflichtgemäßen Ermessen. Dies beinhaltet in der Regel eine genaue Analyse bestimmter Transaktionen, Einnahmen, Ausgaben, Aufwendungen, Erträge und anderer steuerlicher Aspekte.
5. Schlussbesprechung
Nach Abschluss der Prüfung findet eine Schlussbesprechung statt, in der die prüfende Person ihre Ergebnisse sowie die Feststellungen der/dem Unternehmer/in oder dem/den Vertreter/n des Unternehmens mitteilt. In der Regel zitiert sie dann schon aus dem Entwurf des Prüfungsberichtes, der der/dem Steuerpflichtigen im Anschluss an die interne Autorisierung durch das Finanzamt übersandt wird. Während dieser Besprechung hat das Unternehmen nochmals die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder noch klärungsbedürftige sowie streitige Einzelthematiken zu besprechen. Auf die Schlussbesprechung darf die/der Steuerpflichtige verzichten, nicht aber die Finanzbehörde.
6. Prüfungsbericht
Die prüfende Person erstellt einen Prüfungsbericht, der die Ergebnisse der Betriebsprüfung zusammenfasst. Dieser Bericht wird dem Unternehmen zu Händen der/s Unternehmer/in/s oder der Geschäftsleitung zugesandt, meistens eine geraume Zeit vor Auswertung des Prüfungsberichtes durch die Veranlagungsstelle. Darin wird dargestellt, ob und in welchem Umfange Änderungen an den bisherigen steuerlichen Angaben vorgenommen werden.
Mein Tipp:
Lassen Sie sich immer den Prüfungsbericht vor seiner Auswertung durch die Veranlagungsstelle des Finanzamtes übermitteln. Dies verschafft Ihnen weitere Prüfungszeit. Ebenfalls führt dies zu einer späteren Auswertung und damit auch zu einer späteren Bekanntgabe der Steuerbescheide. Dies wiederum führt zu späteren Fälligkeiten und Zahlungsverpflichtungen.
7. Nachprüfung und Einwendungen gegen den Prüfungsbericht
Nach Erhalt des Prüfungsberichtes können die bereits bekannten oder anderweitigen Einwendungen zur nochmaligen (ggf. aber auch zur erstmaligen) Überdenkung seitens des Finanzamtes erhoben werden.
In der Regel verbleibt es allerdings bei den im Bericht dargestellten Änderungen. Diese werden im Anschluss einer Änderungsveranlagung zugrunde gelegt.
Erst gegen die darauffolgenden Steuerbescheide ist der Einspruch nach ihrer Bekanntgabe innerhalb der Einspruchsfrist von vier Wochen möglich.
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Die Vorbereitung auf eine Betriebsprüfung ist entscheidend, um einen möglichst reibungslosen Ablauf zu gewährleisten und mögliche steuerliche Probleme zu minimieren. Hier einige Tipps zur Vorbereitung auf eine Betriebsprüfung:
1. Ordnungsgemäße Buchführung
Stellen Sie sicher, dass Ihre Buchführung als Teil Ihres betrieblichen Rechnungswesens jederzeit ordnungsgemäß, genau und vollständig ist. Dazu gehört das gesamte Buchführungssystem, sowohl der inhaltliche wie auch der organisatorische Bereich. Betriebsprüfer/innen fragen sehr häufig danach und lassen sich den gesamten Ablauf ebenso häufig erklären. Aus meiner jahrelangen Berufstätigkeit heraus kann ich leider nur bestätigen, dass den Steuerpflichtigen besonders organisatorische „Nachlässigkeiten“ spätestens bei einer erwarteten oder schon angekündigten Betriebsprüfung „auf die Füße fallen“.
Mein besonderer Tipp:
Halten Sie es so, dass gleich Morgen eine Betriebsprüfung beginnen könnte!
2. Steuerlich relevante Unterlagen aufbewahren
Bewahren Sie alle relevanten Unterlagen sorgfältig auf. Relevant meint dabei, dass damit solche Unterlagen gemeint sind, die einen steuerlichen Bezug haben oder haben könnten. Dies betrifft insbesondere Konten, Abschlüsse, Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Bankkontoauszüge, Verträge (etwa Kaufverträge, Darlehensverträge, Mitarbeiterverträge, sonstige Belege (etwa sog. Eigenbelege wie z.B. Belege über Privatentnahmen oder Neueinlagen u.ä.)).
Kurzum: Am besten alles verwahren, was im weitesten Sinne steuerliche Relevanz haben könnte.
Die Aufbewahrungsdauer beträgt für in diesem Sinne steuerlich relevante Unterlagen 10 Jahre.
Da Verjährungsfristen häufiger nicht sofort, sondern erst nach einer sog. Anlaufhemmung „zu laufen beginnen“, verwahren Sie steuerlich relevante Unterlagen am besten insgesamt 13 Jahre auf. Weitere noch anhängige Verjährungsfristen sind dann nicht mehr zu befürchten!
Mein besonderer Tipp:
Verwahren Sie im Zweifel eher zu viele Unterlagen auf als zu wenige.
3. Vollständige Steuererklärungen fristgerecht abgeben
Stellen Sie sicher, dass alle notwendigen Steuererklärungen vollständig und termingerecht eingereicht werden. Häufig nicht vollständig oder verspätet abgegebene Erklärungen sind nicht selten Ausgangspunkt für eine Betriebsprüfung.
Sollten Sie feststellen, dass Sie die Abgabefrist voraussichtlich nicht einhalten können, so stellen Sie am besten für die Abgabe der Steuererklärungen rechtzeitig vor Ablauf der Abgabefrist einen Antrag auf Fristverlängerung (bzw. lassen ihn stellen). Dieser Antrag sollte begründet und auch sogleich mit einem voraussichtlichen Abgabetermin verbunden werden.
Mein besonderer Tipp:
Der Antrag auf Fristverlängerung kann auch mit rückwirkender Wirkung gestellt werden.
4. Zusammenarbeit mit einer/m erfahrenen Steuerberater/in
Arbeiten Sie mit einer/m erfahrenen Steuerberater/in zusammen, und zwar bereits bei der Vorbereitung. Zusammen mit ihm/ihr kann ich Ihnen als erfahrener und nun auf den Einzelfall spezialisierter Fachmann auf Wunsch dabei helfen, quasi als sog. Zweite Meinung (Mandatsschutz für Ihre ‚Alltags-Steuerberatung‘ wird selbstverständlich schriftlich garantiert). So werden Sie fachkundig bei der Vorbereitung unterstützt, mögliche Schwachstellen können erkannt und - hoffentlich - behoben werden, so dass auch damit die steuerlichen Verpflichtungen erfüllt werden können.
Frage:
Besteht eine Verpflichtung, fachlichen Rat bei einer steuerberatenden Person einzuholen?
Antwort:
Nein, Sie sind dazu auf gar keinen Fall verpflichtet. Sie sind aber gut beraten, wenn Sie einen solchen Rat einholen würden!
Betrachten Sie es vielleicht einmal so, dass Ihr Honorar gleichsam als Beitrag in einen entsprechenden Versicherungsschutz aufgefasst werden könnte! Denn bei fehlerhafter Beratung steht die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung der
steuerberatenden Person für Ihre möglichen Schadensersatzansprüche ein.
5. ‚Durchsetzen‘ Sie Ihren Bereich Rechnungswesen mit internen Kontrollen
Organisatorisch fest „eingebaute“ und aufeinander abgestimmte Kontrollroutinen können – nicht nur im Rechnungswesen - auf Dauer die notwendige oder gewünschte Ordnungsmäßigkeit bestimmter Abläufe zu erreichen helfen und auch sicherstellen.
Mein besonderer Tipp:
Organisieren Sie die Kontrollroutinen am besten so, dass sie zwar überwachend, allerdings insbesondere gestaltend und zielorientiert lenkend wirken können.
6. Regelmäßige Überprüfung durchführen
Wenn Sie schon erkannt haben, dass aufeinander abgestimmte Kontrollroutinen hilfreich sein können, dann führen Sie sie auch regelmäßig durch. So stellen Sie auf Dauer sicher, dass alle steuerrelevanten Dokumente und Informationen vorhanden sind und dass auftretende, mögliche Unstimmigkeiten frühzeitig erkannt und behoben werden.
Mein besonderer Tipp:
Entwickeln Sie dieses interne Kontrollsystem so, dass sämtliche Betroffenen immer in der gleichen folgenden Abfolge denken und handeln: messen, beurteilen, steuern / lenken!
7. Schulung oder Fortbildung der Mitarbeitenden
Schulen oder bilden Sie Ihre Mitarbeitenden in steuerlichen Angelegenheiten fort, insbesondere, wenn sie für das Rechnungswesen sowie für die Buchführung verantwortlich sind. Ein Verständnis für steuerliche Zusammenhänge und für die einschlägigen Vorschriften sowie für die Steuerwirkungen auch des eigenen Handelns trägt nach meiner jahrelangen Erfahrung in der Steuer- und Wirtschaftsberatung mittel- und langfristig auf jeden Fall zur Steigerung der jeweiligen Arbeitsqualität und damit auch zu einer eher störungsfreien Betriebsprüfung bei.
Mein besonderer Tipp:
Beauftragen Sie steuerlich und wirtschaftlich erfahrene Fachleute mit der Durchführung solcher Schulungen oder Fortbildungen. Auch ich stehe hierfür aufgrund meiner jahrelangen Expertise auf Wunsch gerne zur Verfügung!
8. Kommunikation mit Finanzbehörden
Falls Unklarheiten in Bezug auf steuerliche Fragen auftreten, ist es ratsam, sich frühzeitig mit den Finanzbehörden in Verbindung zu setzen und offene Kommunikation zu pflegen.
9. Anfertigung von Arbeitspapieren
Erstellen Sie Arbeitspapiere und Übersichten, die die steuerlichen Berechnungen und Positionen Ihres Unternehmens transparent dokumentieren.
Mein besonderer Tipp:
Denken Sie in diesem Zusammenhang an das Kürzel „Pp“.
Es steht für „Papier produzieren“ und meint, dass möglichst alles, was letztlich (inhaltlich) in Buchungskonten mündet, verschriftlicht werden sollte. Überlassen Sie nichts Ihrem Gedächtnis, dies vergisst – ganz bestimmt -, das – dokumentenecht - beschriebene Papier aber nicht.
10. Rechtzeitige Reaktion auf Anfragen
Reagieren Sie während der Betriebsprüfung rechtzeitig auf Anfragen der prüfenden Person sowie der Finanzbehörden. Eine kooperative Haltung erleichtert den Prüfungsprozess auf jeden Fall. Vertrauen Sie hier meinem Wort aufgrund jahrelanger Betriebsprüfungserfahrung als Steuerberater.
Mein besonderer Tipp:
Reagieren Sie bitte nicht nur während einer Betriebsprüfung rechtzeitig auf Anfragen der Finanzbehörden. Dies gebieten die Höflichkeit und auch der Anstand im Bereich der menschlichen Zusammenarbeit! Ganz abgesehen hiervon sind alle Steuerpflichtigen gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet.
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Während einer Betriebsprüfung haben sowohl das geprüfte Unternehmen als auch die Finanzbehörden bestimmte Rechte und Pflichten.
Beispielhaft werden im Folgenden einige Rechte und Pflichten während einer Betriebsprüfung dargestellt:
Rechte des geprüften Unternehmens
1. Recht auf Ankündigung der Betriebsprüfung
Das Unternehmen hat das Recht, im Voraus über die Tatsache, dass eine Betriebsprüfung stattfinden soll sowie über die inhaltlichen und organisatorischen Aspekte verbindlich informiert zu werden (etwa Steuerarten, Zeiträume, Beginn und Ort der Prüfung u.a.).
2. Recht auf Datenschutz
Das Unternehmen hat das Recht, dass seine individuellen Geschäftsdaten und Informationen jederzeit, nicht nur während der Prüfung, vertraulich behandelt werden.
3. Recht auf Anwesenheit eine/r/s Bevollmächtigten
Das Unternehmen kann eine/n Bevollmächtigte/n seiner Wahl wie etwa eine/n Steuerberater/in, eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt auf eigene Kosten hinzuziehen.
4. Recht auf Klärung
Das Unternehmen hat das Recht, Unklarheiten während der Prüfung zu klären.
5. Recht auf Einsicht in die Prüfungsunterlagen
Das Unternehmen hat das Recht, die von der prüfenden Person verwendeten Unterlagen einzusehen.
Pflichten des geprüften Unternehmens
1. Mitwirkungspflicht
Das Unternehmen ist verpflichtet, bei der Betriebsprüfung auf Anforderung der prüfenden Person sowie der betroffenen Finanzbehörden mitzuwirken (das schließt beispielsweise die Bereitstellung sämtlicher notwendigen Unterlagen ein).
2. Wahrheitspflicht
Das Unternehmen hat den Finanzbehörden stets wahrheitsgemäße und vollständige Auskünfte zu erteilen.
3. Fristen einhalten
Das Unternehmen hat alle erforderlichen Unterlagen und Informationen fristgerecht vorzulegen.
Rechte der Finanzbehörden
1. Recht auf Mitwirkung des/r Steuerpflichtigen
Die Finanzbehörden haben das Recht auf umfassende Mitwirkung des/r Steuerpflichtigen.
2. Recht auf wahrheitsgemäße und vollständige Auskünfte
Die Finanzbehörden haben das Recht auf wahrheitsgemäße und vollständige Auskünfte des/r Steuerpflichtigen.
3. Recht auf Einhaltung von Fristen
Die Finanzbehörden haben das Recht auf fristgerechte Vorlage bzw. Erteilung aller erforderlichen Unterlagen und Informationen.
4. Zugangsrecht zu den Geschäftsräumen
Die Finanzbehörden haben das Recht, die Geschäftsräume des Unternehmens (während der üblichen Geschäfts- und Betriebszeiten) zu betreten und dort die Prüfung durchzuführen.
5. Einsichtsrecht in die Unterlagen
Die Finanzbehörden haben das Recht, alle relevanten Unterlagen einzusehen und zu prüfen.
6. Recht auf die Stellung von Fragen
Die Finanzbehörden haben das Recht, Fragen zu stellen und Unklarheiten aufzuklären.
Pflichten der Finanzbehörden
1. Pflicht auf Ankündigung der Betriebsprüfung
Die Finanzbehörden sind verpflichtet, im Voraus über die Tatsache, dass eine Betriebsprüfung stattfinden soll sowie über die inhaltlichen und organisatorischen Aspekte verbindlich zu informieren (etwa Steuerarten, Zeiträume, Beginn und Ort der Prüfung u.ä.).
2. Pflicht zur Einhaltung des Datenschutzes
Die Finanzbehörden sind verpflichtet, die individuellen Geschäftsdaten und Informationen des/r Steuerpflichtigen jederzeit, nicht nur während der Prüfung, vertraulich behandelt werden.
3. Pflicht zur Duldung der Anwesenheit eine/r/s Bevollmächtigten des/r Steuerpflichtigen
Die Finanzbehörden sind verpflichtet, eine/n Bevollmächtigte/n des/r Steuerpflichtigen wie etwa eine/n Steuerberater/in, eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt zu dulden.
4. Pflicht zur Klärung
Die Finanzbehörden sind verpflichtet, Unklarheiten während der Prüfung zu klären.
5. Duldung der Einsicht in die Prüfungsunterlagen
Die Finanzbehörden sind verpflichtet, die Einsicht in die Prüfungsunterlagen der prüfenden Person zu dulden.
6. Transparenzpflicht
Über den Ablauf der Betriebsprüfung haben die Finanzbehörden transparent zu informieren und dem Unternehmen Auskunft über die Ergebnisse geben.
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1. Erlass von Änderungs-Steuerbescheiden
Sind auf der Grundlage des Prüfungsberichtes Änderungen der bisherigen Steuerveranlagung notwendig, werden die Finanzbehörden die bisherigen Steuerbescheide ändern.
An dieser Stelle wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass notwendige Änderungen, etwa aufgrund von Buchhaltungsfehlern, obendrein noch zu sog. Hinzuschätzungen bei der jeweiligen Bemessungsgrundlage führen können. Beispielsweise sind durch nicht aufzuklärende betragsmäßig schwankende und zeitlich unregelmäßige Wareneinkäufe sowie Wareneinsätze bei gleichzeitig, permanentem Warenverkauf den bekannten Umsätzen noch ein Zuschlag von 15 Prozent hinzugerechnet worden.
Dies hätte dann zur Folge, dass über die reine Gewinnerhöhung hinaus noch Erhöhungen bei der Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Einkommen- oder Körperschaftsteuer zu erwarten wären.
Auf die damit grundsätzlich verbundenen Gefahren in bußgeld- oder steuerstrafrechtlicher Hinsicht soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden.
Sind allerdings keine Änderungen notwendig, so verbleibt es bei den bisherigen Veranlagungen.
Mein Tipp:
Notieren Sie sich, am besten auf dem/n Steuerbescheid/en, manuell oder digital, den Tag des Empfangs. Dieser Tag ist für die Berechnung des sog. Tages der Bekanntgabe wichtig. Der Tag der Bekanntgabe seinerseits ist für die Ermittlung der Einspruchsfrist wie auch für die mögliche Nachzahlungsfrist von Bedeutung.
2. Nachzahlung oder Steuererstattung
Die geänderte Steuerveranlagung kann zu Nachzahlungen führen. Diese sind einen Monat nach der Bekanntgabe des/r betreffenden Änderungsbescheide/s fällig und bei der angegebenen Finanzkasse bis zu dem Fälligkeitstag eingehend zu entrichten.
Bei der möglichen Nachzahlung allein bleibt es allerdings nicht. Die Finanzbehörden erheben zusätzlich noch Nachzahlungszinsen. Gemäß § 233a AO beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Der Zinssatz beträgt aktuell 0,15 Prozent monatlich bzw. 1,8 Prozent je Kalenderjahr.
Meine Tipps:
1. Sollte es einmal mit dem rechtzeitigen Eingang des Nachzahlungsbetrages bei dem Finanzamt zeitlich knapp werden, so könnten Sie noch am letzten Tag der Frist (d.h. bis zum Ablauf des letzten Fälligkeitstages 24 Uhr) per Echtzeitüberweisung fristgerecht überweisen. Der Geldeingang bei der Finanzkasse wird in der Regel in weniger als 20 Sekunden vollzogen.
2. Selbst wenn eine Echtzeitüberweisung nicht hilfreich sein würde, etwa bei mangelnder, besonders kurzfristiger Liquidität, so wäre die Nachzahlung immer noch als fristgerecht entrichtet zu beurteilen, wenn sie spätestens mit Ablauf des dritten Tages nach Ablauf des Fälligkeitstages bei der Finanzkasse gutgeschrieben wäre (vgl. § 240 Abs 3 AO i.V.m. § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO); evtl. in Kombination mit einer Echtzeitüberweisung.
3. Bei hohen Nachzahlungen sollte eine Stundung beantragt werden.
Sollte eine Nachzahlung tatsächlich einmal unerwartet hoch ausfallen, so beantragen Sie rechtzeitig (!) vor Fälligkeit am besten eine Stundung. Der Antrag wäre allerdings sehr genau und schriftlich zu begründen sowie ebenfalls zugleich mit einem detaillierten und angemessenen Ratenzahlungsplan zu versehen. Flankierend sollte auch die direkte Zahlung einer ersten Rate angeboten werden.
Beantworten Sie in Ihrer Begründung zugleich aber auch die Frage, dies der Stundungsstelle im Finanzamt vorwegnehmend, weshalb Sie den Nachzahlungsbetrag nicht von Ihrer Bank als Darlehen erhalten könnten.
Weist die geänderte Steuerveranlagung dagegen ein Steuerguthaben aus, so ist dieses mit der Bekanntgabe des/r betreffenden Änderungsbescheide/s fällig.
3. Einspruchsverfahren
Sollten Sie mit dem/n aufgrund der Prüfungsergebnisse erlassenen Änderungsbescheid/en nicht einverstanden sein und auch Nachteile erleiden im Vergleich zu der Situation vorher (dann wären Sie „beschwert“), so ist der Einspruch zulässig und innerhalb der Einspruchsfrist auch möglich.
Mein Tipp:
Bei Vorliegen einer Beschwer sollte der Einspruch auf jeden Fall erhoben werden, weil Sie hierdurch „nur“ gewinnen können! Denn „verloren“ haben Sie ja mit der Bekanntgabe der/s für Sie belastenden Änderungsbescheide/s bereits. Mit meiner jahrelangen Erfahrung stünde ich Ihnen hierfür auf Wunsch zur Verfügung.
4. Gerichtsverfahren
Sollten Sie auch im Einspruchsverfahren nicht mit Ihren Argumenten durchdringen (das Finanzamt übersendete Ihnen für diesen Fall eine sog. Einspruchsentscheidung mit Rechtsbehelfsbelehrung), so stünden Ihnen noch gerichtliche Verfahren vor dem zuständigen Finanzgericht und ggf. vor dem Bundesfinanzhof in München offen. Dies ist dann oft der letzte Ausweg und auch mit Zusatzkosten verbunden (Gerichtskosten sowie Kosten für Ihre/n Prozessbevollmächtigte/n, d.h. für Ihre/n Steuerberater/in oder Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt).
Mein Tipp:
Sollten Sie eine Einspruchsentscheidung erhalten haben, so empfiehlt es sich immer, den gerichtlichen Weg mindestens einmal sachgerecht zu überdenken. Am besten wieder mit fachlichem Rat. Auch hierfür stünde ich Ihnen aufgrund meiner jahrelangen Erfahrung (auch bei Finanzgerichten und vor dem BFH) auf Wunsch zur Verfügung.
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Hier beispielhaft einige der Möglichkeiten und Kenntnisse auf Seiten der Betriebsprüfung:
1. Zeitnah zu führendes Fahrtenbuch
Das Nachschreiben oder „nochmaliges Reinschreiben“ von Fahrtenbüchern ist leider keine Seltenheit. Werden dabei im Handel erhältliche Fahrtenbücher bzw. Vorlagen verwendet, so gibt es im Allgemeinen für jedes Jahr unterschiedliche Deckblätter. Darüber sind die prüfenden Amtsträger informiert.
Die Folge davon ist, dass ein wirksames Fahrtenbuch am Ende nicht als geführt gilt, weil es nicht zeitnah angefertigt worden ist (die weitere Folge hiervon wäre die Anwendung der 1-%-Regelung, d.h. – wirtschaftlich ausgedrückt - die faktisch teuerste private Verwendung von betrieblichen Fahrzeugen).
Mein Tipp:
Überdenken Sie die Verwendung eines elektronischen Fahrtenbuches, das vom Finanzamt akzeptiert ist. Auskunft hierüber gibt Ihnen das jeweilige Unternehmen, das derartige Fahrtenbücher verkauft.
2. Auskunftsersuchen der Finanzämter müssen wahrheitsgemäß beantwortet werden
Nutzen Steuerpflichtige für den Verkauf ihrer Produkte etwa Online-Portale oder Internet-Auktionshäuser, so erhalten die jeweiligen Betreiber dieser Portale im Fall von Unstimmigkeiten von der Betriebsprüfung sog. Sammelauskunftsersuchen. Die Finanzbehörden dürfen sich nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes (aus dem Jahre 2013!) im Wege von Sammelauskunftsersuchen an die Betreiber von Online-Handelsplattformen wie zum Beispiel an eBay wenden und von dort Auskünfte verlangen.
So hatte das Finanzamt in dem entschiedenen Fall von dem Betreiber einer Interhandelsplattform wissen wollen, welche ihrer Nutzer mit der Nennung von Namen, Anschrift und Bankverbindung Verkaufserlöse von über 17.500 Euro jährlich erzielt hatten. Die Berufung auf eine Vereinbarung, nach der Daten geheim zu halten sind, half ausdrücklich nicht.
Die jeweiligen Auskünfte werden dann mit den in Ihrem Betrieb aufgezeichneten Daten abgeglichen und verprobt.
Mein Tipp:
Nutzen Sie sog. Archivierungssoftware. Entsprechende Nutzungsrechte sind bei den hierfür einschlägig bekannten Softwareunternehmen in den verschiedensten Ausstattungsversionen erhältlich. Es handelt sich hier meistens um befristete ABO-Modelle.
Derartige Software archiviert sämtliche buchungsrelevanten Dokumente wie Verträge, Rechnungen, Kontoauszüge, sonstige Belege revisionssicher. Änderungen werden ebenfalls dokumentiert; die jeweiligen Dateien werden also mit den entsprechenden Software-Versionen verknüpft, wobei die Ursprungsdatei erhalten bleibt.
3. Online-Shop: Den Betriebsprüfungsstellen der Finanzämter ist archive.org bekannt!
Bei archive.org werden Online-Portale weltweit und ohne Ankündigung gescannt. Mit Hilfe der Domainangabe ist es möglich, das Aussehen einer Website zu einem früheren Zeitpunkt zu recherchieren. Somit ist es auch möglich zu bestimmen, welche Produkte etwa angeboten worden sind. Bei dem Verdacht, dass dem Warenangebot entsprechend keine korrespondierenden Einnahmen aufgezeichnet worden sind, kann eine sog. digitale Betriebsprüfung für die Finanzbehörden hilfreich sein.
Mein Tipp:
Untersagen Sie archive.org. die Archivierung. Dies kann mit einem schriftlichen Antrag erfolgen. Am besten diesen Antrag mit dem Widerspruch auf Archivierung kombinieren. Auf diese Weise ist eine elektronische, digitale Betriebsprüfung - für die Zukunft - nicht mehr möglich.
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Bei einer Betriebsprüfung können Unternehmer bzw. Unternehmen verschiedene Arten der Unterstützung in Anspruch nehmen, um den Prüfungsprozess zu erleichtern und sicherzustellen, dass alle steuerlichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt werden.
Hier einige Möglichkeiten der Unterstützung:
1. Zusammenarbeit mit Steuerexperten
Die Zusammenarbeit mit erfahrenen und für die Durchführung der Steuerberatung befugten Personen ist eine der wichtigsten Unterstützungsmaßnahmen. Wie bereits erwähnt, können sie Sie bereits bei den Vorbereitungshandlungen fachlich unterstützen. Ganz wesentlich können sie aber auch die Kommunikation mit der prüfenden Person sowie mit den übrigen Finanzbehörden führen und koordinieren.
Mein Tipp:
Hierfür stünde ich Ihnen aufgrund meiner jahrelangen Erfahrung (insbesondere im Rahmen von Betriebsprüfungen) auf Wunsch zur Verfügung.
2. Rechtsbeistand in komplexen Fällen
In komplexen Fällen oder wenn über das Steuerrecht hinausgehende rechtliche Aspekte im Mittelpunkt stehen, kann die Hinzuziehung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwaltes sinnvoll sein (am besten in Kombination mit zusätzlichen steuerrechtlichen Kenntnissen). Das Unternehmen kann auf diese Weise umfassend rechtlich beraten und unterstützt werden.
Mein Tipp:
Hierfür stünde ich Ihnen aufgrund meiner jahrelangen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten auf Wunsch zur Verfügung.
3. Rückversicherung durch Versicherungen
In einigen Fällen könnten spezielle Versicherungen Schutz vor den finanziellen Auswirkungen einer Betriebsprüfung gewähren. Die sogenannte Betriebsprüfungsversicherung kann grundsätzlich Kosten abdecken, die im Zusammenhang mit einer Prüfung entstehen. Eine frühzeitige, einschlägige Recherche sowie die Kontaktaufnahme mit in Frage kommenden Versicherungsgesellschaften werden empfohlen.
4. Digitale Buchführungssoftware
Die Nutzung moderner Buchführungssoftware kann die Genauigkeit und Effizienz der Buchführung verbessern. Digitale Lösungen können auch helfen, Unterlagen leicht zugänglich zu halten und den Austausch von Informationen mit den Finanzbehörden zu erleichtern.
Heutzutage werden eine Vielzahl von einschlägigen und fachkompetenten Softwarelösungen angeboten. An dieser Stelle wird die eigene Recherche, insbesondere im Internet, empfohlen wie auch das entsprechende Fachgespräch mit einer erfahrenden Person aus dem Steuerberatungsbereich.
Die Wahl der geeigneten und notwendigen Softwareunterstützung hängt letztlich von der Größe des Unternehmens, von der Komplexität des Betriebes und den weiteren betrieblichen (einschließlich steuerlichen), individuellen Einflussfaktoren ab.
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Hier einige wichtige Fragen und Antworten, wenn die Zeit der Betriebsprüfung gekommen ist sowie einige wissenswerte aktuelle Fakten im Zusammenhang mit der Betriebsprüfung.
Fazit: Eine Betriebsprüfung ist keine Bedrohung, sondern eine Chance für Verbesserungen!
Eine abgeschlossene Betriebsprüfung kann immer als Chance für umfassende betriebliche Verbesserungen, nicht nur im Rechnungswesen, dienen, insbesondere für organisatorische Belange (sowohl in Bezug auf die Aufbauorganisation wie auch auf die Ablauforganisation). Und dies ganz unabhängig von dem jeweiligen Prüfungsergebnis.
Meine jahrelangen Erfahrungen in der Steuerberatung und Wirtschaftsberatung bestätigen dies. Hier einige beispielhafte, positive Aspekte:
1. Das Erkennen von betrieblichem Verbesserungspotenzial
Die Betriebsprüfung ermöglicht durch das konkrete und detaillierte Hinterfragen von steuerlich relevanten betrieblichen Abläufen eine – nochmalige - genaue Überprüfung der Buchführung, des Buchführungssystems und der zugrundeliegenden Geschäftsprozesse (etwa Lagerbewegungen und Lagerbewertungen in Verbindung mit bestimmten Inventurmethoden).
Auf diese Weise können Schwachstellen oder betriebliche Engpässe erkannt und beseitigt oder mindestens vermindert werden.
2. Klärung von steuerlichen Unsicherheiten
Während der Prüfung können offene steuerliche Fragen und Unsicherheiten geklärt werden. Dies schafft Klarheit und ermöglicht es dem Unternehmen, zukünftige steuerliche Risiken zu minimieren.
Sehr oft habe ich in meiner jahrelangen Berufstätigkeit als Steuerberater und Wirtschaftsberater hören müssen, dass sich die betroffenen Unternehmer/innen bzw. Steuerpflichtigen – rückblickend – eine recht frühzeitige Betriebsprüfung, also möglichst schon zu Beginn ihrer unternehmerischen Tätigkeit, und nicht erst nach beispielsweise 18 Jahren gewünscht hätten.
Häufig ist dies in Verbindung mit „eingeschlichenen Fehlern“ übrigens der Grund für den Wechsel in der Steuerberatung. Auf diese Weise habe auch ich nicht wenige neue Mandate erhalten. Auf der anderen Seite habe ich allerdings kein einziges Mandat aufgrund einer Betriebsprüfung verloren. Das ist sicher auch ein wesentlicher Grund, weshalb ich mich auch heute noch sehr gerne mit Betriebsprüfungsthemen befasse.
3. Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden
Eine kooperative Zusammenarbeit während der Betriebsprüfung führt aus meiner Erfahrung heraus auf jeden Fall zu einem deutlich besseren Arbeitsverhältnis mit den Mitarbeitenden in den jeweiligen Finanzbehörden.
Dies wiederum wirkt sich bei zukünftigen steuerlichen Anfragen, Problematiken oder auch Prüfungen ebenfalls spürbar vorteilhaft aus.
4. Mögliche Verbesserung der Finanzberichterstattung
Durch die Überprüfung und Klärung von Buchführungsfragen während der Prüfung kann die zukünftige Genauigkeit und auch Verlässlichkeit des gesamten Buchführungssystems verbessert werden. Dies kann – neben weiteren Verbesserungen – und bei Einhaltung und Eintreffen weiterer Bedingungen auch zu einer Steigerung der Aussagekraft der betrieblichen Finanzberichterstattung führen.
5. Chance zur Optimierung von betrieblichen Gestaltungen
In einigen Fällen können sogar steuerliche Optimierungen von betrieblichen Gestaltungen oder Vergünstigungen erkannt werden, die das Unternehmen (einschließlich der beauftragten Steuerberatung) zuvor übersehen hat. Dies wiederum kann zu einer Senkung der Steuerbelastung führen. Eine Vielzahl von Beispielen hierzu lassen sich vor allem im lohnsteuerlichen Bereich finden.
6. Entwicklung von ‚Best Practices‘
Der Prüfungsprozess kann grundsätzlich dazu dienen, bewährte Praktiken in Bezug auf die Buchführung und das betriebliche - externe wie auch interne - Rechnungswesen zu entwickeln. Die Forderung nach einer sog. steuerlichen Compliance, also im engen Sinne die Einhaltung von Recht und Gesetz, dürfte bzw. sollte im betrieblichen Bereich allerdings eine Selbstverständlichkeit sein!